Sei ganz ruhig

Sei ganz ruhig. So heißt das kurze Gedicht von Angela Krauß und auch die erste Zeile. Es hat mich seit einiger Zeit schon begleitet.
Gerade der Eintrag zum Himalaya und den Besteigenden des Mount Everest hat mir die Zeilen erneut in Erinnerung gebracht. Für einige wenige besteht das Leben immer noch aus Sensationen. Immer höher, immer weiter, immer schneller. Dabei wissen wir, unser Planet hält das nicht aus.
Unsere Einkaufsmeilen suggerieren uns ein Übermaß an verpassten Gelegenheiten, wenn wir jetzt nicht zugreifen. FOMO (fear of missing out) ist allgegenwärtig und ein viel zu erfolgreiches Marketingkonzept, dem sich kaum eine Person entziehen kann. Die Selbsteinschätzung der Zeit, die uns verbleibt bis zum Tod (perceived time till death) oder unseres spezifischen Sterblichkeitsrisikos bezüglich Vermeidbarkeit oder allgemeinem Risiko, beeinflusst „unbewusst“ unser Verhalten. In Vergangenheit verhaftet sein, ist keine Lösung. Das Leben wird vorwärts gelebt, und rückblickend verstanden.
Bei einem gelegentlichen Rückblick wird vielen bewusst, es hat sich viel angesammelt (nicht nur im Keller). Aber mehr, muss es nicht werden, anders schon, besser vielleicht. Als Hommage an Angela Krauß mal ein 7-Zeiler, beeinflusst von der Konferenz im Europäischen Parlament „Beyond Growth“ im Mai 2023. Ruhig werden und ruhig bleiben, sollten wir beständig versuchen.  Klein- statt Großschreibung, flache Hierarchien, Gleichstellung bei Wörtern und Sätzen. Warum noch Satzzeichen? Denk dir deine Welt, wiedewiede wie sie dir gefällt.

bleib ruhig
bleib einfach ruhig
la vie est belle tel quel
hab keine angst was zu verpassen
es bleiben jahre zu verweilen
schau mal umher
da ist viel

Ikigai

Der japanische Autor Ken Mogi hat ein Büchlein zum japanischen Lebenssinn oder Lebenskunst  “Ikigai” geschrieben (Leseprobe). Ich möchte daraus einen der letzten Sätze zuerst zitieren (S.169): “Aber vergessen sie nicht, bei der Suche hin und wieder herzlich zu lachen – heute und an jedem neuen Tag!” Also das mit dem Lachen kann ich schon ganz gut, deshalb als zusammenfassendes Urteil, mal auf Bayrisch: Ken Mogi, mog i.
Das Buch des Neurowissenschaftlers versucht auf recht seriöse Weise, westlich geprägten Lesern, japanische Lebensweise und Philosophie nahe zu bringen. Meine Lektüre von Herbert Rosendorfers: Briefe in die chinesische Vergangenheit, hat mich vor Jahrzehnten bereits auf einen humoristischen Zugang zum Kulturvergleich hingewiesen. Der chinesische Mandarin, versteht München = Min chen; Bayern = Ba yan. … und so wird aus Mogi = Mog I für mich. Ikigai beschreibt “die Freuden und den Sinn des Lebens” (S.17) iki = Leben, gai = Sinn. Die 5 Säulen des japanischen Lebenssinns lassen sich ohne weitere Hierarchie im Raum platzieren. Je nach kultureller Prägung erscheinen uns einzelne Begriffe oder Leitlinien als intuitiv zugänglicher. Hier meine Nennung, keine Reihung der 5 Säulen. Im Hier und Jetzt sein; Die Freude an kleinen Dingen entdecken; Klein anfangen; Loslassen lernen; Harmonie und Nachhaltigkeit leben.
Mogi (S.71) bringt die Begriffe “Loslassen” und “Im-Hier-und-Jetzt-Sein” mit dem zen-buddhistischen Grundsatz der Selbstvergessenheit zusammen. Für westlich geprägte Individualisten ist dieser Menschheitsansatz”als anonymes, fast unsichtbares Wesen, für das Individualität keinerlei Relevanz mehr hat” (S.72) aufgrund von totalitaristischen Erfahrungen nicht wirklich akzeptabel. Loslassen und nur Im-Hier-und-Jetzt leben ist nicht wirlich winterfest. Als geistigen Zustand ist es erstrebenswert, bei Wahrung der 5. Säule in Harmonie mit Natur, Gesellschaft und Achtsamkeit für Nachhaltigkeit.
Die Erfahrung von “Flow” als wichtiges Erbe vonWalt Disney’s (S.84) patentiert als “Imagineering” ist eine starke Motivation für viele Berufseinsteigende und start-ups. Diese Vertiefung oder Zeitvergessenheit lässt sich auf vielfältige Weise und bspw. in Hobbys erreichen. Die Teezeremonie und Blumensteckkunst sind sicherlich passende japanische Beispiele in diesem Zusammenhang. Musizieren ohne jegliches Publikum (Gagaku-Tradition S.94) ist Flow, für manche im Westen aber als brotlose Kunst verschmäht. Spüren von innerer Freude und Befriedigung wird sie durch das Leben tragen. Zurückhaltung und Nachhaltigkeit sind weitere Schlüsselbegriffe des Ichigai. Denken “in Hierarchien von Gewinnern und Verlierern, Anführern und Mitläufern, Vorgesetzten und Untergebenen” (S.111) wird zum Problem. Der Begirff des “wa” = “Harmonie mit unserem Umfeld” soll eine friedenschaffende Wirkung entfalten und unnötige Konflikte vemeiden. “Loslassen ist notwendig, wenn man als Assistent eines älteren Ringers, die Wünsche und Bedürfnisse einer Respektperson erfüllen muss, der man dient” (S.125). Kritikfähigkeit wird so beiderseitig kaum gelernt. Es drängt sich mir die unerklärliche Störung der Harmonie durch die angekündigte Entsorgung des strahlenden, verseuchten Wassers der Atomkraftwerks und Atomunfalls von Fukushima auf. Die rücksichtslose Zerstörung von Umwelt wird in Japan durch Ikigai scheinbar nur verzögert, aber nicht verhindert. Kurz: Ikigai mog i, Atommüll ins Meer entsorgen, mog i net.

https://www.nipponconnection.fr/pokemon-go-a-la-rescousse-des-zones-sinistrees-du-japon/  … und was machen wir mit unserem Müll?