Jeder kennt den Sonnengruß aus dem Yoga. Jetzt gibt es eine neue Variante des Sonnengrußes. Nach vielen anderen Bundesländern hat sich Berlin an seine Mieterinnen, Pächterinnen und Eigentümerinnen gewandt, damit sie sich an der Ernte der Sonnenenergie beteiligen. Mit € 500 wurden kleine Steckersolarkraftwerke gefördert, die jede/jeder beantragen konnte der den Hauptwohnsitz in Berlin hat. Interessant war die erweiterte Interpretation des Balkons. Es wurden Kleinanlagen für Balkon, Terrasse, Gartenzaun oder auch für die Gartenlaube in die Förderung einbezogen. Alles digital zu erledigen, bitte.
Die öffentliche Förderung wird wohl die 2-3 fache Summe an privaten Investitionen anreizen. Das kann dann schon ein Anfang sein. Die Aussicht auf mehr Balkon- und Laubenpieper, die Strom für den Eigenbedarf erzeugen, kann hoffentlich mehr Personen bewegen, derartige Investitionen rasch umzusetzen. Viele Beispiele zeigen die Wirtschaftlichkeit solcher kleiner Investitionen, aber einige Jahre des Betriebs sollten schon einkalkuliert werden. Viel hängt dabei von dem allgemeinen Strompreis ab. Seit der Aggression Russlands in der Ukraine wissen wir, dass es noch viele weitere Gründe für die Beteiligung an der Energiewende gibt. Mehr Energiesouveränität fängt im Kleinen an, eine dezentrale Erzeugung und Verbrauch vor Ort kann sogar eine Netzausfall oder Notfallreserve darstellen.
Zu dem morgendlichen Sonnengruß reiht sich dann bald der tägliche Sonnendank ein. Mit dem entsprechenden Messgerät lässt sich die Sonnenernte leicht in Zahlen fassen und wir hören es buchstäblich im Geldbeutel klingeln. So werden gleichzeitig Steuergelder mit einer Hebelwirkung durch zusätzliche private Investitionen sinnvoll eingesetzt. Ein Digitalisierungsschub der privaten Antragsstellenden, Betreibende der Anlagen und öffentlichen Stellen ist ein zusätzlich sinnvolles Nebenprodukt. Papierlose Verwaltung ist ein Megaprojekt. Jetzt danken wir aber erst einmal der Sonne als großzügigem, selbstlosen Energielieferanten. (Image: IBB Webseite 2023).
Städtepartnerschaften
In einigen Städten gibt es ganze Listen mit Städtepartnerschaften. Diese werden mit sehr unterschiedlicher Leidenschaft gepflegt. Berlin-Kiew ist eine Partnerschaft, die erst seit 2022 wieder richtig wichtig geworden ist. Solidarität mit den Menschen, Schicksale teilen und Unterstützung gewähren, wenn es nötig ist,.Das alles lässt sich einfacher bewerkstelligen bei etablierten Kontakten. Verantwortung für Vergangenheit und zwischenmenschliche Beziehungen überwinden viele Barrieren. Die deutsch-französischen Partnerschaften bilden ein weitgespanntes Netz, das viel zur Verständigung der Menschen beigetragen hat. Deutsch-polnische Partnerschaften ergänzen seit einigen Jahren die gegenseitigen Besuche und Kontakte, die die so wichtige Aussöhnung zwischen den Völkern befördert, gerade in Zeiten von konfliktbeladener Regierungspolitik.
Es reicht nicht, wenn Schulklassen einmal von West nach Ost oder umgekehrt fahren. Zum beiderseitigen Verständnis braucht es mehr Anstrengungen. „Spiele ohne Grenzen“, die populäre Art mit Spaß bei der Sache einen Wettstreit inszenieren, das hat in den 70er Jahren gut funktioniert. Feste feiern mit interregionalem Austausch ist ebenfalls eine interessante Alternative. Straßennamen Plätze mit dem Namen der Partnerschaft helfen wenig für wirkliche Verständigung. Okay, die Nazis hatten die Städtepartnerschaften zu übler Propaganda missbraucht, zur Indoktrination und Machtdemonstration in anfangs noch widerspenstigen Regionen. Gerade deswegen müssen wir andere Modelle der Verständigung anregen, die das Menschliche in den Vordergrund stellen. Lange Zugfahrten können Anregungen bringen, aber wer kann schon so viel Anregung noch vertragen.
Nobel Literature2023
Jon Fosse has been awarded the Nobel prize for literature in 2023. Alfred Nobel donated the original funds out of his entrepreneurial empire build on the patents for dynamite. The explosives have ample use in peaceful times, but especially at times of war with noisy and destructive explosions. Experiments, with the tragic outcome killed together with 4 other victims his own brother. It did not stop him to pursue his entrepreneurial endeavour. In 2023 the Russian aggression continues to use explosives to kill innocent civilian victims. The sound of bombing continues to traumatise or destroy existences. The Nobel Prize for literature awarded to Jon Fosse does not bring those killed to live, but it is yet another reminder that silence or the absence of Alfred Nobel’s noise is invaluable. Norwegian Fjords and the water all around surely inspired Jon Fosse.
The scope of his writing ranging from theatre, prose to poetry and children’s books is comprehensive and impressive. This is probably all well known to many theatre-goers and readers beyond their mother tongue. For Germany there is an additional feature to the literary work of Fosse. Hinrich Schmidt-Henkel is the almost exclusive translator of the German language editions. This is already an impressive amount of work and long-term commitment to and from a translator as well as the publishing house Rowohlt. The Wikipedia entry for Hinrich Schmidt-Henkel shows the numerous works as translator of Jon Fosse as early as 2001 and still more to come. Additionally, Hinrich Schmidt-Henkel translates other classic authors from Norwegian into German in collaboration with the publishing house Guggolz located in Berlin-Schöneberg.
Besides the passion for translation Hinrich Schmidt-Henkel is active to defend the rights and salaries of translators. The threat to professional translation work by AI-programmes is imminent and just like authors and actors (not only in the USA) face continuing challenges for proper remuneration of their work. Being the German “voice” of Jon Fosse, it depends very much on specific contractual arrangements, whether a translator will also benefit not only from the popularity, but also in financial terms from the “windfall” profits reaped by authors and publishers. This constitutes probably a rather explosive issue, but worthy to be addressed eventually by the Nobel Committee. It is a “winner takes all” system just like with explosives, at least until next year’s awards. (Image Hinrich Schmidt-Henkel presenting Biermann in Staatsbibliothek Berlin 2023-9).
Digital Egal
In den deutschen Amtsstuben geht es Ende 2023 oft noch erschreckend analog zu. Für einen Grundbuchauszug, beispielsweise, hatte ich das außerordentliche Vergnügen das Grundbuchamt am Amtsgericht in Berlin Ringstraße aufzusuchen. Sonst nimmt man sich ja nicht die Zeit, solche Sehenswürdigkeiten von innen zu besuchen. Die Überraschungen waren vielfältiger Art. 3 Personen Wachpersonal und Metalldetektor, wie bei der Flugabfertigung. Für den Auszug aus dem Grundbuch ist selbstverständlich eine Gebühr fällig, die nur bar entrichtet werden kann. Auf zur Zahlstelle, immerhin auf dem gleichen Flur. Die nächste Amtsstube hat zwar noch einen richtig historischen Tresor, aber die Erfassung der Zahlung läuft wohl noch auf alten Geräten. Vielleicht per relativ unsicherem WLAN verbunden. Das LAN-Kabel ist jedoch schon mitgeliefert, das dann irgendwann einmal eine sicherere Netzanbindung ermöglichen wird.
Über einen Dienstleister lässt sich der Verwaltungsakt auch online erledigen unter Herausgabe der Kreditkartendaten und sonstiger Daten (Cookies) samt Unterschrift per Maus (!). Das ganze für die doppelte Verwaltungsgebühr. Dank des 49 € Tickets wollte ich mir diesen Spaß jedoch live gönnen. Wahrscheinlich werde ich das nochmals mit den Enkelkindern so als lebendigen Museumsbesuch nachvollziehen. Wer weiß, wie lange das noch möglich sein wird. Das Personal trägt es mit Fassung und dem nötigen Humor.
Bisher kannte ich die Diskussion über die Digitalisierung der Verwaltungen mehr aus wissenschaftlichen und technischen Diskursen. Jetzt kann ich so richtig in das Jammern darüber einstimmen. Produktivitätsfortschritte lassen sich hier in ungeahntem Maße erzielen. Einer geht noch: Was ist das längste Wort in dem Amtsvorgang und wie viele Buchstaben hat es?
Gerichtskassenstemplerabdruck (auf der Quittung).
Nations Fail
Ever since Adam Smith wrote on the “Wealth of Nations” the topic concerns social scientists. The discourse around the wealth of nations has become even more fundamental these days. Beyond wealth calculated in economic terms we are convinced to add well-being of the population as well as the state of the environment into the accounting procedures like national accounts. But wait a second. Similar to the term wealth we have to widen our perspective in what is considered to be a nation. Shifting borders through wars (Russia aggression on Ukraine) or separatist tendencies of regions, (re-)unification of Germany or Korea (eventually) show that the nation is a concept in flux. Considering migrants from former colonies still as having residential rights in the colonising country shows, there is more to nations than a one size fits all nation concept.
Daron Acemoglu and James A. Robinson had published the book on “Why nations fail. The origins of power, prosperity and poverty” already in 2012. On the 3rd of October Germany celebrates its re-unification only because the Russian dominated German Democratic Republic (and the other Eastern European satellite states under Russian control) can be considered as a failed state. These Russian dominated states crushed private initiatives and build corrupt systems where party allegiance and hierarchical structures were overemphasised. Following Acemoglu and Robinson (chapter 10) the lack of diffusion of prosperity is likely to be the root cause. Even similar to the French revolution, which brought about tough measures of redistribution, the external threats to the post-revolution France demanded subscription of masses into armies to defend the young republic against aristocratic rulers in the surroundings. If monarchy in France is a failed state, the post-revolution France survives due to high identification with the republican idea. The Soviet dominated Ukraine is a failed state, but the Ukraine of today resists due to its willingness to defend its own republican ideals. To get virtuous circles of development started, inclusiveness across the board is necessary. Leave nobody behind, seems to be a shortcut summary. It is much easier said than done. Loosing younger generations in the sense that they no longer subscribe or feel part of an inclusive wealth of the nation is a highly dangerous path. Failed states have a history in failed inclusive social and economic practices. Democracies are at risks just as much as authoritarian nations. However, democracies have better institutional settings to address the lack of inclusion and in multiple ways.
When I celebrate the 3rd of October in the Federal Republic of Germany I celebrate (1) the accomplished failure of the GDR, its undemocratically elected elites, corrupt institutions and the failure of the thousands of willing collaborators of the Russia-backed regime; (2) the peaceful resistance movement, (3) the relatively short-lived humanitarian focus of the Russian leadership at the time to not send in the tanks and (4) the willingness of the FRG to support 20 million new citizens for many years to come (5) the allies of the FRG to accept the potential security threat of a strengthened Federal Republic of Germany, which might entail a shift in the balance of power in Europe.
And yet, even in 2023 we pose questions on what is the concept of failure, when authoritarian regime can still survive for sooo long and some still accomplish extensions. We keep questioning the sense of the term “nation” in modern times and across the globe. Too many wars are still fought in the name of a “nation” even if only a handful of military-supported leaders and single autocrats try to impose wars in the name of some rather vague or plainly mistaken claim of nationhood.
On the 3rd of October we celebrate that “nations can fail” opening a path into a more prosperous and inclusive society. Some nations fail, just because they were no nation in the first place. The GDR was such an artefact of international compromise as part of the overall “balance of power” and the Cold War. The result of this process gives so much hope to other divided nations (Korea) or nations under authoritarian oppressive rule.
Selfie 3D
Wir meinen gerne die heutigen Gewohnheiten, wie die ständigen Selbstbildnisse seien eine Erscheinung des 21. Jahrhunderts. Weit gefehlt. Wer es sich früher schon leisten konnte, hat sich malen lassen. Photographen haben später diesen Markt übernommen. Aber eben auch Kunstschaffende haben seit langer Zeit ihr Selbstbildnis gezeichnet, gemalt und in Stein oder Gips geformt. Selfies sind daher eher die Demokratisierung der Möglichkeiten, sich selbst zu inszenieren. Eben sich so zu portraitieren, wie sie oder er sich selbst sieht, sehen möchte oder gesehen werden möchte. Es ist daher weniger ein narzisstischer Charakterzug die Antriebsfeder, sondern für die meisten Menschen steht ein Teilen, eine Form der Interaktion mit anderen im Vordergrund. Die portraitierte Person ist da, auch wenn sie gerade nicht da ist.
Diese Intention haben Herrschende jahrtausendelang genutzt und sich Mausoleen und Pyramiden errichten lassen. Gut, dass diese Praxis weit in den Hintergrund getreten ist. Heute regeln wir bereits unseren digitalen Nachlass in Ergänzung zu unserer analogen Hinterlassenschaft. Für viele werden dabei, ganze Sammlungen von vielfältigen Selbstbildnissen zu verwalten sein. Die 3D-Ausdrucke unserer Gesichtscanns samt mehr oder weniger noch vorhandener Haarpracht kommen dann in eine eigens vorbereitete Vitrine. Selbstverständlich gehören die MRTs und sonstige Scanns von ZahnärztInnen auch in die Sammlung. 3D ist schon ein guter Anfang auf der Interaktionsreise mittels Selbstbildnis. 4D Realisationen, wie Yoko Ono mit ihrem Cut Piece 1967 kamen dann später. (Photos from Friedrichwerderschen Museumskirche, Berlin 2023 Austellung Ideal und Form, li: Schadow Selbstbildnis, mi: von Kahle, re: Rauch).
Berlin Grün
Zur Berlin Art Week BAW 2023 wurden der Neuen Nationalgalerie ein paar Blumen und Baumkästen spendiert. Alles nur vorübergehend. So erblühte die Rose von Isa Genzken schon vorher und sicherlich noch etwas länger vor der Neuen Nationalgalerie. Steht der Galerie gar nicht schlecht. Vielleicht etwas sehr figürlich und wenig auf die Schätze der Moderne hinweisend. Das ist schon eher post-modern. Rückbesinnen auf die Werte der Natur, dass Stahl und Glas eben nicht umsonst zu haben sind, sondern erhebliche Umweltkosten mitsichbringen. Das regt zum Nachdenken an. Solarzellen, quasi unsichtbar auf dem großzügigen Flachdach der Galerie und für die geplante Scheune nebenan? Kunsträume stehen ebenfalls in der Verantwortung für die Überlebensbedingungen unseres Planeten. Denkmalschutz kann weitgehend eine Bremse sein, aber die energetische Verantwortlichkeit der immer gut gekühlten und beheizten Räume sollten auch wegweisend in dieser Richtung sein. Da gibt es noch viele Potenziale, die es auszuschöpfen gilt. Damit kann dann auch mehr Kunst gezeigt werden, da die laufenden Kosten gesenkt werden können für mehr als eine Wahlperiode oder Amtsperiode einer Hausleitung. Also Kunst kann einen schon auf unangenehme Gedanken bringen, die die Kunstschaffenden und Kuratierenden selbst betreffen. Isa Genzken und die BAW setzen Zeichen, die vielleicht so gar nicht unbedingt geplant waren. Nice.
Participative Art
Beyond participation in the performance based on Yoko Ono’s Cut piece 1964, you had the possibility to imagine yourself as a sculptor by touching a sculpture of art attached to the Genzken exposition, nothing less than the head and bust of Nefertete, also a piece transformed by Genzken and exposed, untouchable, in the exposition. You can hardly get more involved and incited to participate with hands-on experience, so to speak.
Additionally, there is the perspective from the performing artist in “Yoko Ono’s Cut Piece” to confront the spectators with a silent, stoic expression hardly moving during the more than 90 minutes performance. Imagine, what kind of vulnerability you are risking. Artists give a lot from themselves to the public. Imagination is even going beyond the act performed. Mastering your own fear of mutilation or being exposed to views, touching and multiple other forms of sensation.
This surely is an exercise of mental strength. Spectators also interact with other participants as, for example, spontaneously another spectator too the scissors to cut his own shirt in front of the performing artist and covered the shoulder of the performer. The personal interaction assures a more intense experience of art.
After all, this is a well-known principle to enhance learning experiences as well. Imagine all the people, each taking just a tiny little piece and remember their experience that they, as well, can be actively contributing to art. Reviving this participatory experience is leading beyond imagining only your participation. Democracy is built on this stimulating experience as well. It is ever so necessary to foster participation and to overcome indifference or abstention. Learning by doing, or experiencing through touching, offer many additional insights.
(Images and videos taken on 2023-9-12, Berlin)
Revival
Almost 50 years after the first performance of Yoko Ono “cut piece” (1964), as a silent performance, it was performed again at the beginning of the Berlin Art Week (BAW2023). The “Neue Nationalgalerie” opened the art week somehow, in honour of her. The performance consists in the interaction with the audience inviting persons to approach her in front of the other spectators to cut a piece of her dress. They are allowed to keep the cutting and walk away with a little piece of her dress. In the 60s this was quite a big deal. Nowadays, after the fall of the wall and the wrap-up of the Reichstag by the Christo couple, we have become used to such kinds of take-home pieces and sharing in art work or historic moments. Hence, this was the chance for Berliners to add another valuable piece to their collection consisting of a piece of painted concrete from the Berlin wall as of 1989, Christo-foil in 1995 from the Reichstag and now the tissue from the live performance in honor of Yoko Ono.
The participation in the art performance invites several interesting approaches.
First the artist exposes herself in an extremely vulnerable fashion. The scissors in front of her make for a weapon in the hands of an aggressive person. Therefore, the number of security guards was beyond the scope of a normal protection of art hanging on the wall or sculptures exposed. In the background of the performance is the exposition of work from Isa Genzken which has been much less of a security risk. Her super-size rose in front of the gallery is accessible night and day. Some of the images taken have a somewhat blurred, more distant view on some pieces of Genzken’s work as well. The entry hall of the Neue Nationalgalerie allows a fabulous transparency of art and invites persons passing-by to attend spontaneously the performance as well.
(Images and videos taken on 2023-9-12, Berlin). Video Clip here.
Widmann
Jörg Widmann hat seinen Einstand bei den Berliner Philharmonikern als „Composer in Residence“ gegeben. Die Schwester, Carolin Widmann interpretierte das Violinkonzert Nr. 2 von Jörg Widmann als Solistin. Das war ein ganz besonderer Abend. Die Widmanns haben doch tatsächlich gemeinsam die Einführung in das Programm des Abends mitgestaltet, eine ¾ Stunde vor dem Konzert im großen Saal der Philharmonie. Mit Begeisterung haben die beiden Geschwister von der gemeinsamen Zeit der Entdeckungen rund um die Violine in ihrer Kindheit erzählt. Damit wird die faszinierende kindlich, unschuldige, nahezu naive unbedarfte Herangehensweise an das Instrument verdeutlicht, die so charakteristisch ist für den Anfang des Violinkonzerts. Die Entdeckung eines Klangkörpers (vom einzelnen Instrument bis zum Tutti) geht aber rasch weiter zu einer Demonstration der vielfältigen Gefühls- und Virtuositätsregister der Violine. Paganini lässt grüßen, könnte man meinen.
Kaum klingt eine virtuose Passage an, da hinterfragt der Komponist die eigene Begeisterung. Ist das nicht einfach nur Akrobatik, um dem Publikum zu gefallen? Zweifel stellen sich ein und etwas Distanz zum gefälligen Wohlklang. Reflektierte Virtuosität, der Soziologe würde vielleicht auch reflexive Virtuosität als kompositorisches Element verwenden wollen. Notation von Musik und Klängen hat seit dem wohltemperierten Klavier relativ feste Vorgaben. Daran hat sich Jörg Widmann zu 98 Prozent wohl gehalten. Die anfängliche Erkundung des Klangkörpers Violine lässt sich aber nur anders notieren. Innovativ, mit mehr Raum für Interpretation in der Aufführungspraxis. Das betonte so auch die Schwester, die nun wirklich dem Komponisten sehr eng verbunden ist. Interessant war daher ihr Kommentar, dass diese Anfangsstelle für sie gleichsam die größte Herausforderung darstellt.
Die folgende „Fantasie für Klarinette solo“ von Jörg Widmann passte daher gut zu dieser Erkundungsreise von Instrumenten des Symphonieorchesters. Die Klarinette hat in allen Musikepochen und Stilrichtungen ihren Platz behauptet. All diese Anklänge lassen sich in dem Solo, welches der Komponist selbst dargeboten hat, wiederfinden.
Nach dieser aufregenden Reise durch die Jahrhunderte der Musikgeschichte stand die „Reformationssymphonie“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy auf dem Programm. Spannend war die Umsetzung „dieser Art von Teufelsaustreibung“ (Worte von Jörg Widmann) mit dem „2. jüdischen“ Satz und dem „3. protestantischen“ Satz der Symphonie in denen Felix Mendelssohn-Bartholdy seine beiden Wurzeln in den Gesängen und Liturgien in Andeutungen aufnimmt. Mit Klängen und Fängen der ausgehenden Romantik wurden wir in den weiteren Abend entlassen, samt Eindrücken aus der Ausstellung zu der Entstehung (60 Jahre) und der Architektur der Berliner Philharmonie und dem Scharoun Ensemble (40 Jahre) der Gebäude einschließlich der Stabi West. Das Mendelssohn Archiv hat in der benachbarten Stabi West einen kleinen, feinen Ausstellungsraum mitten im großen Lesesaal. So haben wir einen umfassenden Rundblick und Ausblick genießen können, die dem Kulturforum in eindrücklicher, dennoch unaufdringlicher Weise, eine hervorragende Stellung einräumen.
(Image: Jörg Widmann jenseits des Schattens von Furtwängler 2023-9-9)
Bogenspannerin
Seit der Antike sind Bogenschützen und Archer ein Thema der Künste. Meistens ist die männliche Repräsentation die dominierende Variante. In Berlin lässt aber auch seit langem eine starke weibliche Realisierung bewundern. Nahe dem Pergamon Museum und der Alten Nationalgalerie steht die Statue der Bogenspannerin. Die Zielrichtung geht Richtung Hedwigsdom, als ob der Kampf zwischen Kunst und Religion ein andauernder wäre. Erfahrene Stadtzeichnerinnen, aber auch Jugendliche fühlen sich dadurch angeregt. Kunstschaffende können einen nachhaltigen Einfluss haben. Innerhalb Berlins ist nicht nur die Vielfalt der Kulturen zu bestaunen, sondern auch der Wettbewerb der Künste um Aufmerksamkeit. Da werden nach Regierungswechseln oft viele Bögen gespannt. Bleibt abzuwarten, wen es alles dieses Mal treffen wird.


Special HK
The Special Olympics World Games are special in many respects. The broad range of people with special abilities is only one of them. I had the chance to ask permission to take a photo of the athletes from the team from Hong Kong when the took their team photo at Berlin Alexanderplatz. This is indeed special as the all wore proudly their team dress showing in big letters Hong Kong on the back (participant example). Hong Kong is the unfortunate island that was passed on from Imperial phase from the United Kingdom time to the Chinese rule. Despite an official 1 China, 2 political systems promise, Hong Kong’s democratic movements were soon threated and imprisoned. It was a special moment to me to witness the spirit of the Hong Kong athletes at the beginning of the special games in Berlin.
Other athletes whom I congratulated on the way to the competition were proudly asking me, whether I had seen them on TV yesterday. Beyond the 2 weeks of competition, special athletes are part of our public images of sports persons. This enlarges our perspective of what a sport’s person presumably has to look like. The SOWG question our traditional stereotypes and put inclusion and integration into practice. At least some of the disciplines should go mainstream and be part of the next Olympic games in Paris 2024. But, as we all know the official, not so special, Olympic games are primarily about big business and merchandising rather than inclusion and diversity. Hong Kong athletes remain a unique experience reserved to the special Olympics.
Special
We all value special skills and specialists. In Berlin is a whole week devoted to the special event of the #SOWG. These are the special Olympics world games. Berlin is booming with special people all around. Already the arrivals of the athletes to Berlin tests the public transport system as much as private infrastructure to welcome persons with special needs. Rather than the waste that is produced for normal Olympic games the same incredible amounts of money should be devoted to make cities more welcoming to special people every day. We have become as societies so used to speed up things as much as we can that we have forgotten the value of allowing people to live their lives with their own speed and rhythm. Looking at the huge numbers of private sponsors for the SOWG it becomes obvious that many people care to support these special people on their journey. I am more willing to pay taxes for such efforts than the public money wasted for football, like TV-rights or stadium buildings. The joint experience of love and joy with these extraordinary persons makes us all happy and rich. Happiness is the new “wealth of nations”. Inclusion brings happiness to more than just the normal. We wish you all a happy #SOWG. The stars are you.
Design Start-up
Es war wieder Designmesse. Klein, aber fein, in Berlin in den KantGaragen. Die Location weckt schon Hoffnung auf Experimentelles, Garagenhaftes, Handwerkliches. Das bringt Abwechslung in die sonstige, glitzernde Shoppingwelt. Das renovierte und entgiftete Parkhaus erlaubt einen Rundgang über mehrere Etagen, vorbei an Galerien und Ständen von DesignerInnen. Es macht sich eine anregende Brise von erfrischenden Ideen breit. Von Design im Raum mit Leuchten und Möbeln über Design von Mode und Schmuck lässt sich viel Schickes finden. Blickfang, samt Blickfang Akademie haben es geschafft, die Mini-messe in den KantGaragen zu etablieren. Es kann sogar Eintritt verlangt werden. Eine weitere Begleitung der Neuen auf dem Markt wird oft nötig sein, denn selbst gute Innovationen sind meistens keine Selbstläufer. Konkurrenz belebt nicht nur das Geschäft, es bleibt meist auch ein Verdrängungsprozess.
Die großen, vielfach schließenden Kaufhäuser in den Innenstädten spüren besonders die Konkurrenz der individualisierenden DesignerInnen mit ihren einzigartig anmutenden Realisationen. Singuläre Kauferlebnisse auf solchen Messen, in stilvollem Ambiente, selbst in einem alten Parkhaus sind, allem Anschein nach, ein Erfolgsrezept. Start-up statt Close-down schafft viele erfüllende Arbeitsplätze. Gute Arbeit wird nicht aussterben, sondern durchstarten.
Indigo Waves
„Indigo“ is an almost mystical colour. Its deep blue nature refers to profoundness and in combination with oceans to a surprisingly still largely unexplored world of biodiversity. Additionally, in association with endlessly forthcoming and retreating waves, indigo reveals its many possible shades. Oceans separate or link continents and it is this feature of Oceans which is explored in the exposition “Indigo Waves and Other Stories” (Gropiusbau). Beyond our all to common focus on the transatlantic relationships, “Indigo Waves” explores the links between the African and Asian continents. Embarking on a new narrative for the Afrasian Sea, i.e. the Indian Ocean, we are taken to new horizons through the continuous challenge to our value systems, comprehension of art, poetry or culture more generally. The exposition, through multiple challenges, succeeds in displacing us into the context of other perspectives. Following Oscar Murillo, imagine to view the water roses from Claude Monet (Les Nymphéas) from below the surface. What do you expect? In Europe? Near a barrier reef in the Indian Ocean? Beauty is often not visible at first sight, yet it is co-determined by the currents that build and potentially destroy it (compare photo from exhibition below). The balance of social ecosystems is easily messed-up just like the beauty of ecosystems in nature. “Indigo Waves and other stories” tells us other versions of the colonial stories most of our history books told us for centuries. It is an eye-opening exposition, but probably not the way we expect. Following a poem towards the end of the exhibition by Tishani Doshi “Do not go out in the storm”, we are drawn into the ambiguity of our existence irrespective of the continent of origin. Jack Beng-Thi preserves a poem from Jean Joseph Rabearivelo in his artistic book creation and installation to bring to light “indigo waves”. “vos yeux clignotent dans l’azur, et je les appelle : étoiles. ” (Translated suggestion: “your eyes blink in the blue sky, and I call them: stars).
Macht Raum Gewalt
So heißt der Titel der umfangreichen Ausstellung im Haus der Akademie der Künste, direkt neben dem Brandenburger Tor. Nur 3 Monate bis 16.7.2023 lässt sich durch die Architektur, Planung und Umsetzung zur Zeit des faschistischen Regimes in Deutschland taumeln. Angesichts der monströsen Verbrechen und der unterliegenden ideologischen Doktrin wird die Frage „macht Raum Gewalt?“ auf 2-fache Weise beantwortet. (1) Raum macht Gewalt und (2) Gewalt macht Raum. Das gestalterische Element von Architektur schafft Räume, die individualisieren, personalisieren oder entpersonalisieren können. Die Uniformität im Faschismus kreiert eine visuelle Sprache, die durch ihre Art Räume und Räumlichkeiten zu gestalten gezielt entpersonalisiert. Gewalt- und Machtausübung fällt darin leichter. Räume und Gebäude wurden der Menschlichkeit enthoben, gebaut, den Menschen zu überleben.
So fällt es in entpersonalisierten, bewusst überdimensionierten Raumkonzepten, leichter Gewalt gegen Menschen vorzubereiten und durchzuführen. Die 1. These „Raum macht Gewalt“ lässt sich sozusagen empirisch in der Ausstellung durchwandern. Die 2. These „Gewalt macht Raum“ wird ebenso eindringlich durch die Dokumentation der Zwangsarbeit, Konzentrationslager und massenhaft ausgeübten physischen und psychischen Gewalt durch die herrschenden Faschisten verdeutlicht. Wenn Wörter und Stimmen von Augenzeugen zu fehlen beginnen, werden die Texte, Zeichen, Bilder und Stummfilme zu Dokumenten, wie mit Gewalt Raum gemacht wird. Der expansionistische, imperialistische Drang der Faschisten machte vor keinen Grenzen halt. Juristische Grenzen, menschenrechtliche, moralische oder Landesgrenzen spielten keine Rolle mehr. Rechtsbeugung und Missbrauch war an der Tagesordnung, um Raum, Macht und Gewalt menschenverachtend durchzusetzen.
Die architektonischen Nazi-Hinterlassenschaften, weiterhin sichtbar in Berlin, München und Nürnberg werden nur in den markantesten Bauwerken dokumentiert. Das reicht schon, den historisch bewussten Blick zu schulen. Selbstverständliches Hinnehmen von diesen Anblicken verbietet sich. Das Übertünchen des Adlerkopfes mit weißer Farbe, Symbol für den amerikanischen Adler, sollte in uns die Dankbarkeit für die Befreiung von der Nazi-Diktatur festigen und dazu beitragen, den Tag des Sieges 8.5.1945 der „Alliierten Streitkräfte“ als Tag der Befreiung zu feiern.
Doppelt-gemoppelt
… hält besser. So erging es mir, wie den anderen Zuschauenden im Berliner Konzerthaus bei 2 x hören. Eine kleine Fangemeinde hatte sich wieder eingefunden, um zeitgenössischer Musik zu lauschen und sich zwischendurch Erläuterungen anzuhören. Welch eine tolle Gelegenheit, denn neben dem Gespräch mit den beiden Musikerinnen Franziska Pietsch (Violine) und Maki Hayashida (Klavier) war die Komponistin Tatjana Komarova anwesend. Christian Jost moderierte das Gespräch über die Komposition und Interpretation bevor das gleiche Werk „Umhüllt von Licht und Nebel“ erneut zu hören und sehen war. Das kammermusikalische Stück in 4 Sätzen lebt von seiner unaufgeregten Dynamik und dem Wechsel der beiden jeweils tonangebenden Solistinnen. Allein, aber gemeinsam; ruhig, dennoch dynamisch. Dieses Sich-aufeinander-beziehen und gleichsam wieder nahezu meditativ auf sich selbst zurückgezogen komponierte Werk hat einen überraschenden Bezug zu den Biografien der Künstlerinnen. Selten gibt es die Gelegenheit, so nah an diese Hintergründe heranzukommen. Während noch die Tradition der italienischen Oper (auch Mozarts Frühwerk Mitridate) die SängerInnen stimmlich bestens in Szene setzten, vertraut das zeitgenössische Stück von Komarova auf eine zurückgenommene, eher verhaltene Virtuosität. Angedeutet ja, aber eben nur angedeutet und umgehend reflektiert, bescheiden gewendet. Wechselbäder der Gefühle, wie sie Aufführende ständig durchleben, werden nahezu musiktherapeutisch gewendet. Die Hommage an die Verletzlichkeit in der Musik sowie durch die Musik wird mit der Besetzung authentisch vermittelt. Das Stück von Komarova wurde zum Festival Spannungen 2014 komponiert und im Jugendstil Wasserkraftwerk Heimbach uraufgeführt. Der kleine Werner-Otto-Saal im Konzerthaus bot eine für Kammermusik geeignete Atmosphäre für die Darbietung sowie für das Gespräch zwischendurch.
Flaneur
Der bürgerliche Flaneur wird kritisch hinterfragt und erweitert erörtert im Festival DRiFT in Berlin. Das passt doch gut zu dem nötigen WALK und WALKING, welches uns schon alleine aus gesundheitlichen Aspekten von Nöten ist. Die subversive Form als kollektives Wandern, gefährlicher historisch waren die Märsche auf Rom von Mussolini, friedlicher Gandhi, aber beeindruckend erfolgreich. Ostermärche kennen wir noch als Beispiel dieser kollektiven Form des gemeinsamen Gehens und Erkundens, oder doch Beeinflussung oder gar Eroberung.
Die Idee ist alt, die Ansätze in unserer Zeit bleiben eine Herausforderung. Protestmärsche kennen viele Organisationen gerade aus den nicht-regierungs Organisationen (NGOs) und den Gewerkschaften. Präsenz zeigen und seine Meinung äußern, wenn sie nicht genügend Gehör oder Widerhall findet, gehört zum demokratischen Kanon. Eine entsprechende Wiederbelebung und Stadtteilerkundung als “Psycho-geografie” hat historische Wurzeln in Paris und Frankreich. Räumliches Vorstellungsvermögen und Orientierung ist eine Qualifikation, die messbar ist. Eine Stadt erlaufen bildet eine kognitive Landkarte der Straßen und Umgebung. Mal schwer, mal einfach, aber fast immer irgendwie anders.
Biotop
Die Sensationspresse, zu der leider mehr und mehr ehemals seriöse Zeitungen neigen, zitiert Biotope meistens als Wirtschaftsbremse, Wachstumsverhinderung oder Spaßbremse. Da fällt es schwer dagegenzuhalten. Biodiversität ist nicht umsonst zu haben. Viele Schmetterlingsarten leben bestens angepasst an ihr ökologisches Umfeld, vergleichbar einem Biotop. Farbenpracht dient zur Tarnung im Gelände oder zum Anlocken von Paarungspartnern. Im Botanischen Garten in Berlin werden solche Inseln der Glückseligen für viele Regionen Europas und darüber hinaus nachgestellt. Der frühe Schmetterling von Ende April ist kaum zu bemerken, so gut passt seine Farbkonstellation in sein Umfeld. Es werden richtige Suchbilder und Geduldsproben, die Falter zu entdecken (bitte unten testen). Belohnung lockt für die Geduldigen, wenn das auch vielen von uns unerträglich schwerfällt. Zu schnell sind die Umgebungen für vermeintliche, kurzfristige, wirtschaftliche Interessen zerstört und die angepasste Tierwelt ebenso. Das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) intentiert einen Schutz. Der ist aber wohl allzu leicht auszuhebeln. So wird die Farbenpracht und das Tanzen der Schmetterlinge zunehmend in Konzertsälen zu hören oder darüber zu lesen sein, aber seltener in Biotopen zu bewundern sein. Artenvielfalt als Biodiversität braucht die passenden Räume dazu. Eine große Aufgabe bei dem weiteren Anwachsen unserer Spezies.
Ekman + Eyal
Die Ankündigung im Programm der Staatsoper in Berlin zur Aufführung von 2 Tanzstücken (1) Alexander Ekman und (2) Sharon Eyal im Programm spricht dementsprechend von Tänzer:innen des Staatsballetts Berlin mit Musik vom Tonträger. Das hohe Haus hat es mit den beiden Stücken geschafft, das reformierte Ballett in das 21. Jahrhundert zu retten. Dazu gehört neben neuen Bewegungsformen, die freieren Umgang mit dem Standardrepertoire des Balletts erlauben, auch die Musik der jungen Generation in die Staatsoper reinzulassen. Ja genau, dazu gehört Technomusik in der Staatsoper. Das Publikum hat sich deutlich verjüngt und so manchem älteren Herrn oder Dame fliegt da schon mal das Blech weg. Die Clubszene in Berlin hat ihre balletttänzerische Erweiterung gefunden mit ihrer Musik als Kunstform. Das gelingt besonders durch die Musik von Ori Lichtik „Strong“. Die provokanten Kostüme, die gekonnt mit Genderrollen spielen, ergänzen auf eindrückliche Weise die kraftvollen Ausdrücke der Tanzenden. Anspielungen an Maurice Béjart’s Bolero oder „Le sacre du printemps“ erfreuen Tanzbegeisterte. Gruppendynamik, Solo und Pas de Deux bauen dennoch auf dem klassischen Figuren- und Konstellationsrepertoire auf. Auch oder gerade in der Clubszene der Realität gibt es die Feuervögel, Flamingos und schwarzen Schwäne. Zur Vorbereitung auf den Tanzabend empfiehlt sich der Besuch in einem der Berliner Clubs. Gerne auch einmal wieder in den Berliner Zoo gehen und die Haarpracht der Orang-Utans in der Bewegung bewundern. Die uns genetisch sehr Verwandten haben uns in puncto Haarpracht, besonders auch im Alter, einiges voraus. Mehr Bewegungsfülle und Begeisterung für Bewegung wecken beide Stücke auf nachhaltige Weise. „Nobody leaves the room unmoved“. Ein bewegender, tänzerischer Abend Unter den Linden.
Erklärungsnot
Kaum gewählt und schon in Erklärungsnot. So könnten wir die Amtsgeilheit von Kai Wegner und seiner Vorgängerin Giffey beschreiben. Vermutlich mit den Stimmen der Rechtsextremen als Bürgermeister gewählt, stand heute am 28.4.2023 ein Besuch für den regierenden Bürgermeister auf dem Israeltag der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin-Brandenburg (DIG-BB) bereits als Termin. Da ergibt sich gleich eine schwierige Erklärungsnot für den Bürgermeister und die vorher einladende DIG-BB. Sollen wir den eindeutig, zweideutig gewählten Bürgermeister ausladen oder machen wir gute Miene zum bösen parlamentarischen Spiel. Vergleichbare Peinlichkeiten wird es nun gehäuft geben. Das hat uns nun die Nachwahl beschert. Demokratie ist ein schweres Geschäft und Missbrauch der Prozeduren kann erneut das gesamte System gefährden. Muss das schon wieder in Berlin anfangen. Zum Termin am Wittenberg, ausgerechnet vor dem KaDeWe, waren ungefähr 2x so viele Polizisten und Sicherheitskräfte vor Ort als Interessierte an den Ständen der wichtigen Partnerarbeit mit Israel. Schade, aber vor lauter Erklärungsnot in den nächsten Wochen, Monaten und vielleicht Jahren wird die Sacharbeit wieder in den Hintergrund treten. Dabei gab es doch genug zu tun, damit Berlin funktioniert, oder?
Kritik der Kritik
In Berlin türmen sich als ökologisches Desaster die nicht verkauften Zeitungen auf. Darunter gerade der in neuer Aufmachung erscheinende Tagesspiegel. Mal gespannt, ob dieses teure Experiment gelingen wird. Mit sorgfältig recherchierter Kritik des kulturellen Schaffens und der etablierten Häuser rühmt sich der Tagesspiegel nicht gerade. Vielleicht ist das ein Grund, warum die beständig weniger werdenden Zeitunglesenden ebenfalls auf andere Medien umsteigen. Eine Kritik, wie die von Ulrich Amling im Tagesspiegel vom Dienstag 6.12.22 Seite B24 braucht wohl keiner. Soll er doch besser gleich Bratwurst essen auf dem benachbarten Weihnachtsmarkt. In dem neuen Format des Tagesspiegel finden sich die Kritiken eh jetzt ziemlich weit am Ende, wo der eilige Lesende meist nicht hinkommt vor dem Einschlafen. Ich würde eher davon ausgehen, dass solche Kritiken etablierte Lesende abschrecken. Für Berliner Schnauze oder Wutbürgerniveau im Kulturteil muss ich kein Geld bezahlen. Die internationale Besetzung und Ausrichtung mit Regie Satoshi Miyagi erlaubt Berlin internationale Aufmerksamkeit zu erlangen jenseits des Berliner Inner Circles von Freund- und Feindschaften. Auf der Webseite der Staatsoper lesen wir: “Ein japanisches Inszenierungsteam um den Regisseur Satoshi Miyagi taucht Mozarts »Mitridate« in ein zauberhaftes Ambiente …”. Das lese ich dann umformuliert im Tagesspiegel auch genannt Spitzel: “Unter den Linden taucht derweil ein japanisches Team um Regisseur Satoshi Miyagi “Mitridate” in Ströme von Gold”. Platter gehts nicht. Zeitung ist halt meistens 2D und nur wenigen gelingt es kulturelle Events ebenso plastisch darzustellen, wie sie eben auf der Bühne wirken. Tolle Einführung vor der Oper im Foyer übrigens. Wer Internationalität und Interkulturalität schätzt kommt hier voll auf seine Kosten.
Die Stapel Tagesspiegel als Altpapier, die zurzeit täglich entsorgt werden müssen (Foto vom 6.12.2022 18.26h am Südkreux), sind ein weiteres tägliches Ärgernis. So werden bestenfalls fake-news über eine Tageszeitung selbst produziert. Branchenkenntnis über Zeitungsmärkte beklagt das schleichende Rückbau des Mediums. “Zwar setzte sich die Erosion der Absatzzahlen fort, aber sie verstärkte sich nicht. Bei den Regionalzeitungen nahm die Zahl der Abonnements im Westen um drei Prozent auf 7,55 Millionen ab.”(BDZV Relevant 2-2021 S.25). Oft sagen Bilder mehr als Worte und dabei ist goldfarbenes Lametta in der Weihnachtszeit in der Staatsoper vielleicht doch sehr passend.
Mitridate
Ah! que vois-je … Welch schöner Ausruf, als Auftakt der letzten Szene im Theaterstück Mitridate von Jean Racine. Das könnte meine neue Begrüßungsformel im täglichen europäischen Umgang werden. Im Theater als moralischer Schule der Herrschenden und Diplomaten hatten Racine und durch seine Fabeln bekannt Jean de la Fontaine eine enorme Bedeutung. Die Geburtsorte beider in La Férte-Milon und Chateau Thierry liegen recht nahe beieinander für Museums- und Literaturliebhabende, unweit von Paris-Est mit RER erreichbar. Viele mit der jüngsten Geschichte Deutschlands vertraute Personen zucken bei dem Titel der Opera seria von Mozart “Mitridate, re del Ponto” zusammen. Mit dem Namen Ponto ist im kollektiven Gedächtnis Jürgen Ponto verknüpft. Die gleichnamige Stiftung heilt heute noch die Wunden der Vergangenheit. Der König von Ponto ist jedoch Herrscher über ein Königreich, das in der heutigen Türkei lag und die Halbinsel der Krim beinhaltete vor mehr als 2000 Jahren. Nur so viel zu den falschen, historischen und kulturellen Besitzansprüchen Putins heute.
Mozart schuf bereits mit unglaublichen 14 Jahren die Oper Mitridate. Darin sind erstaunlich viele Anklänge und kleine Melodien enthalten, die er in späteren bekannteren Werken wieder variiert aufgreift. Seine erste Auslandsreise zum Studium der Kompositions- und Instrumentationstechnik nach Mailand hatte eine nachhaltige Wirkung. Zusammenarbeit mit den besten Singenden dieser Zeit stellt heute noch Professionelle der Gattung wie Pene Pati vor große Herausforderungen. Eine gewisse Analogie von Pati zu und Potenzial wie Pavarotti ist vielleicht schon erlaubt. Die Barocktage in der Staatsoper Berlin mit den “Musiciens du Louvre” sowie deren Gründundsdirigent Marc Minkowski, selbst ein Mozartexperte, sind wahrhaft glänzend und barock. Die in Goldfarben geschneiderten Kostüme und Bühnenbilder versetzen uns in borocke Bilder und Szenen. Der im Libretto vorgegebe Abschluss: Für die Freiheit, samt Abschlußakkorden, halt im Freiheitskampf der Ukraine gegen russische Besatzung heute noch nach. Bravi!!! Das hat der junge Mozart bereits 20 Jahre vor der französichen Revolution, vielleicht augenzwinkert vertont und inszeniert. Das Freiheitsstreben der Völker hat sich dann auf das Freiheitsstreben im Volk übertragen. Klar, ist nur eine spekulative These, aber schön zu glauben. Im Bild unten ist ein Cembalo zu sehen. Mozart spielte es selbst in den ersten 3 Aufführungen und hat wohl auch dirigiert, vielleicht wie es aus dem Film “Amadeus” 1984 in Erinnerung geblieben ist. Toll eine Oper, nicht nur für den Opa.
Bogenschütze
Der Bogenschütze, seine Materialien und Techniken, hat seit Jahrtausenden die Menschheit beeinflusst. Im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sind schon mehr als 10.000 Tote auf ukrainischer Seite zu beklagen. Der stille Protest vor der russischen Botschaft in Berlin gibt davon Zeugnis. Wer hätte gedacht, dass Heckenschützen in Europa wieder wichtig im Krieg werden. Historisch ist die Bedeutung vielfach belegt und die Künste haben ihren Anteil daran. Auch im Kulturforum Berlins wird wieder aufgerüstet. Nach? der Skulptur “Bastion” vor der Stabi West, hatte die Nationalgalerie ihren dreifachen “Bogenschützen” von Henry Moore auf die Bastion gerichtet. Jetzt hat die Nationalgalerie mit dem Kauf der “Bogenschützen” von Sascha Wiederhold erneut aufgerüstet. Das farbenfrohe Werk des Malers und Bühnenbildners ist derzeit, gleich in der Eingangshalle unten zu bestaunen.
Die “reclining figure” von Moore am UNESCO-Gebäude in Paris hat mich aufgrund des verkörperten Optimismus eher inspiriert, wenngleich das “Three Way Piece No.2 Archer” klare Stellung im Kulturforum bezieht. Die Stabi West hat mit der Renovierung der Stabi Ost und direkter Busline ihre backup Truppen deutlich verstärkt. Mit der Nachbarschaft der Scheune wird die Neue Nationalgalerie, bei erfolgter Unterstützung durch die Gemäldegalerie und der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel, in einigen Jahren das Kulturforum dominieren. Das WZB hat schon mal seine Kathedrale aufgestockt und die Digitalisierung wird von der Stabi insgesamt dynamisch vorangetrieben. Schon längst ist die Kultur in einem umfassenderen Cyberwettkampf, der zunächst zwischen den Generationen ausgetragen wird. Während die Stabis von der jüngeren und mittleren Generation dominiert werden, haben die Tempel der Moderne ein Alterungsproblem. Ob es nach den Kirchen die Museen treffen wird, bleibt zu befürchten. Die hohen Studierendenzahlen verstärken die Truppen der Stabis. Letztlich hängen alle diese Institutionen am Tropf der öffentlichen Finanzen (Statistikinfo). Es wird mehr MäzenInnen brauchen und viele kleine Fördervereine, die diese wertvolle Vielfalt erhalten wollen. Retten wir, was noch zu retten ist.
Berlin Kulturforum
Am 4.11.22 war mal wieder Museumssonntag. In großer Zahl strömten die Besuchenden in die Berliner Museen. Da war ich auch dabei. Rechtzeitig Zeitfenster zu buchen, war die Devise. Selbst das war mir gelungen. So habe ich mir einen musealen Overkill – “plein dans les yeux” geschaffen, der einen fantastischen kulturhistorischen Gesamteindruck vermittelt hat. Für mich beginnt die architektonische Zeitreise mit dem Bau von James Sterling und seiner “rosa, himmelblauen Denkfabrik” mit seinem einmaligen Grundriss. Dort lässt sich nicht nur im Campanile träumen (C Beispiel hier). Im Video gleich am Anfang zu sehen ist das WZB. Dann geht es über die Gemäldegalerie und dem Kupferstichkabinett zur Matthäuskirche samt Glockenschlag. Die Phiharmonie ist der gold-gelb strahlende Diamant der Schmuckreihe, sicherlich auch wegen der “ansteigenden Weinberge” (Zitat von Architekt Hans Scharoun) darin. Farblich sticht das Zeltdach des windigen Sony Centers hervor. Der Bahntower am Potsdamer Platz hat schon mal das Licht ausgeschaltet, damit die Züge noch rollen. Das Keuzfahrtschiff oder der Containerkoloss des gebürtigen Bremerhavener Scharoun (Staatsbibliothek) ist jetzt sonntags geöffnet und leuchtet in bescheidener Sachlichkeit. Die NNG – Neue Nationalgalerie lässt durch die Beleuchtung und transparente Architektur auf die laufende Ausstellung von “Bonvicini” blicken. Dazugehörig ist die Klanginstallation, die im Hintergrund zu hören ist, auf der äußeren Wandelhalle, die früher schon zu Choreografien inspirierte.
Ach richtig, es fehlt noch etwas. Bei Tageslicht ist der Traum vorbei, da wird an dem nächsten Megaprojekt gebaut, “der Scheune“. Naja, den Grundriss kennen wir ja alle. Das Berliner Psychogramm am Ende des Videos zu sehen, heisst: “I must have a wall behind me”. Ich muss eine Wand/Mauer hinter mir haben. Aber so richtig los kommen von den Mauern, können wir hier nicht, oder?