Lichtenberg hatte den späteren ausufernden Individualismus spekulativ in seinen Aphorismen vorweggenommen. Im ersten Band der Sudelbücher schrieb er bereits: „Je länger man Gesichter beobachtet, desto mehr wird man an den sogenannten nichtsbedeutenden Gesichtern Dinge wahrnehmen, die sie individuell machen.“ (1976, S.25). Unsere Fototechnik und soziale Medien haben eine wahre Revolution durch die Flut der allgegenwärtigen Fotos geschaffen. Was früher der Spiegel war, ist längst der schnelle morgendliche Blick in die Kamera des Handys geworden. Intelligente Spiegel wären also die durch Kamera aufgenommenen und direkt auf einen größeren Bildschirm übertragenen Bilder. Das Hautscannen auf Melanome oder checken von depressiven Phasen könnten eine frühzeitige Erkennung ermöglichen. Sollten wir das wollen? Aus derartigen Hinweisen lässt sich sozial invasiv Gefahren für den Einzelnen, die Einzelne ableiten, aber eben durch Bezug des Einzelfalls auf verallgemeinerungsfähige Vergleichsfotos. Gesichter länger anzusehen, das hat seine sozialen Grenzen. Mit Breughel durften wir das dann. Kindern wird früh erklärt Personen nicht anzustarren, dabei trainieren sie so, was das einzelne Gesicht so singulär macht, die Augen, Ohren, Mund, Zähne, Nase oder Schattierungen. Donatello, gepriesen als der Erfinder der Renaissance, spielte schon mit den Details der Gesichter. Mehr Mut zum längeren Hinsehen sollten wir aufbringen, auch beim Hinsehen auf einfache Charaktere, auf Armut statt Wegsehen. Oft ist David interessanter als Goliath. Die Rahmung des Bronzolino verstärkt geschickt eine zeitgenössische Analogie zum 24.2.2023.