Touraine

Alain Touraine hat die französische Soziologie entscheidend geprägt. Aus seiner außergewöhnlichen Biografie wird rasch ersichtlich, wie er nicht nur seine Leben, sondern auch seine Art der Soziologie „von untern“, vom Individuum her, gedacht hat. Gerade der Prozess der Subjektivierung, die Autonomie des Subjekts betonende Sichtweise bildet ein Gegengewicht zu dem systemischen Blick auf Gesellschaft, beispielsweise von Luhmann. Soziale Bewegungen, die auf dem Engagement von Personen gründen, sind unverzichtbarer Bestandteil von Demokratien.
Neben Begriffen wie die post-industrielle Gesellschaft oder neue soziale Bewegungen hat Alain Touraine weit mehr als die “Sociologie du Travail” in Frankreich geprägt. Bereits seine Dissertation über « L’Évolution du travail ouvrier aux usines Renault“ in 1955 unterstrich sein Interesse an den Lebensverhältnissen der arbeitenden Bevölkerung. Der Umfang seiner soziologischen Studien, die schon früh große Umfragen beinhalteten, war im besten Sinne des Wortes problem-orientiert, besser noch politik-orientiert. Dabei übernahm er immer Verantwortung, seine Lösungsansätze politikberatend einzubringen.
Die Würdigung von Alain Touraine in einer Podcastserie von 5 x ½ Stunde aus 2019 bei France Culture gibt einen groben Überblick über die prägende Wirkung von Alain Touraine jenseits von seinen soziologischen Arbeiten. An dieser Persönlichkeit wird zusätzlich deutlich, wie sprachliche Grenzen, selbst in den Köpfen von soziologiebetreibenden Forschenden selbst im 21. Jahrhundert fortwirken. Das hat selbst Alain Touraine mit gut 90 Jahren an sich kritisiert. Asiatische, arabische und afrikanische Denkanstöße kamen wenig in seinem Werk vor. Vielleicht reicht ein Leben nicht dafür, zumindest die Zugänglichkeit der Weltliteratur hat sich erheblich erweitert. Bleibt die Frage nach der Zeit und dem Willen, sich auch andere Denkgebäude, -begrifflichkeiten und -kulturen zu erarbeiten.

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