Ganz anders als das Verb „reparieren“ lässt sich „aufarbeiten“ verstehen. Beide Verben beschreiben Prozesse, die schon mal einige Zeit dauern können. Manche dieser Prozesse haben eine scheinbar nicht enden wollende Persistenz. Anders als Autos und Maschinen allgemein, können wir Geschichte nicht reparieren, bestenfalls Versuche einer Entschädigung machen. Aufarbeiten von geschichtlichen Ereignissen, Kriegen, Menschenrechtsverletzungen und Unrecht kann viel schwieriger sein. Rechtsausübung von Unrecht, das in historisch gültige Gesetze gefasst ist, gilt als rechtspolitisch wenig angreifbar. Moralische Bedenken späterer Generationen, beispielsweise, sind wie der historische Gegenstand selbst, zu kontextualisieren.
Diese geschichtswissenschaftliche Herangehensweise an historisches Material hat seit einiger Zeit eine zusätzliche verlegerische Heimat gefunden. Der Kugelberg Verlag, Verlag für historische Sozialforschung verbindet einen biografischen Ansatz der Aufarbeitung von Geschichte mit einer organisationssoziologischen Perspektive der mittleren Führungsebene als Funktionselite. Zusammengenommen ergibt sich aus dieser Verbindung von Mikro- und Meso-ebene des Nationalsozialismus eine wichtige Ergänzung der Aufarbeitung der Schrecken und Verbrechen der Nationalsozialisten. Das Büchlein von Dr. Wolfgang Proske „Kleine Herrgötter! Die Kreisleiter der Nazis in Bayern“ ist bereits in der 5. Auflage im Kugelbergverlag erschienen. Die sorgfältig recherchierten Beiträge bauen auf den Arbeiten zu den umfangreicheren 20! Bänden „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer – NS-Belastete“ in Bayern und Baden-Württemberg auf. Die bereits mehr als 250 AutorInnen, versammelt in diesen Bänden zu den biografischen Recherchen, vereint ein einmaliges, zu Recht mehrfach prämiertes Aufarbeitungsprojekt von lokalen Geschichtsinteressierten und -werkstätten.
Die Multiplikatoreneffekte solcher „Citizen Science“-Projekte unterstreicht die Bedeutung von „bottom-up“ Vorgehensweisen. Erst die Zusammenarbeit von diesen vielen AutorInnen ermöglicht die Zusammenschau und genügend tiefe Einblicke in den Aufbau und die Funktionsweise der menschenverachtenden NS-Maschinerie. Geschicktes Infiltrieren von allen möglichen Machtpositionen in früher Zeit schnürte das Netz des Terrors immer dichter. Daraus ergibt sich eine immens wichtige Lektion für das Überleben von Demokratien: Wehret den Anfängen! Keine Freiheit und Machtpositionen den Feinden der Freiheit!
Mensch
Der vermessene Mensch ist im Kino angelaufen. Die deutsche Kolonialmacht im südlichen Afrika weilte nur kurz, aber überaus grausam. Das ist mit aller Härte im Film von Lars Kraume dargestellt. Zu viele explizite Gewalttaten im Film erlauben nur eine Zulassung ab 14 Jahren. Das sollte ernst genommen werden. Die Kolonialgeschichten der Imperialmächte sind alle mit abscheulichen Verstößen gegen Menschenrechte verlaufen. Da darf nichts beschönigt werden. Der Film bietet daher eine gnadenlose Abrechnung mit den Verbrechen der damaligen Zeit. Und das ist gut so.
Die Wissenschaft und viele der Wissenschaftler haben sich in den Dienst der Machthaber einspannen lassen und nicht nur die Wissenschaft, sondern auch sich selbst verraten. Karriere, gesellschaftliche Stellung und Ansehen winkten den Kollaborateuren. Da wurde viel für die späteren Greueltaten und abscheuliche Praxis der Nationalsozialisten vorgeführt. Wichtig und sehenswert, aber keine leichte Kost mit Safari -Atmosphäre. Die Vermessenheit des Menschen, als seine Selbstüberschätzung gemeint, ist nahezu ein biblisches und religiöses Thema. Das passt in die Fastenzeit und den Ramadan. Dieser ausgesprochen gute Titel bleibt mir jedoch beständig als “Der vergessene Mensch” in Erinnerung. Wir haben lange so getan, als ob wir die Verbrechen mit Vergessenheit abmildern könnten. Verdrängtes kommt jedoch meist mit größerem Bumerangeffekt zurück. Der Mensch und die Angehörigen hinter diesem Mensch, alle Opfer des Verbrechens, werden zu dem vergessenen Mensch. Auch Wissenschaftler vergessen oft den Mensch hinter ihren Theorie und Datengerüsten. Für jede Person, die das Vermessen vergessen hatte, kommt der Bumerang noch heftiger zurück.
Unternehmende
Für Unternehmende ist es wichtig, auf „boundary setting“ = Grenzen setzen zu achten. Gut erklärt im Artikel von Shola Asante in der FT vom 12.7.21. Unternehmende tendieren zu einer statistischen oder Status quo Sicht ihrer derzeitigen Tätigkeit. Lebensverläufe von Unternehmenden zeigen aber oft mehrfache Entwicklungen und Übergänge. Darauf lässt sich nur schwer vorbereiten. Offenheit für Neues (Big 5) erscheint besonders relevant in diesem Kontext der potentiellen starken Neuausrichtung zu einem späteren Zeitpunkt. Grenzen setzen fällt dann besonders schwer, wenn wir emotional besonders engagiert an unserer Tätigkeit hängen. Authentizität im Unternehmergeist kann leicht über das Ziel hinausschießen und das Private überlagern. Offen bleiben für spannende und notwendige Richtungswechsel ist ein Erfahrungswert. Wegen der Kontextabhängigkeit lässt sich das selten exakt planen. Risikofreudigkeit eröffnet Chancen.

@KlausSchoemann
Kommentare zu aktuellen politischen Themen verbreite ich seit einiger Zeit über Twitter unter @KlausSchoemann . Die Themen der Kommentare befassen sich überwiegend mit Europa, sowie wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge. Auf Evidenz basierende Meinungen stehen im Vordergrund. Einiges sind Fundstücke, die meine Vorlesungen und Seminare an Hochschulen und Universitäten sowie in der Wirtschaft aktuell halten sollen. Die Hintergrundstudien oder Erhebungen können ebenfalls meistens aus Retweets nachverfolgt werden. Weiter unten, gibt’s gleich die Liste der letzten Tweets des Rotkehlchens, Vogel des Jahres 2021, scrollen lohnt sich! “Happy Reading”. Die Webseite “imagine4d.de” hat besonderen Fokus auf Europa und die Zukunft Europas bei weiterem spezifischem Interesse. Wir bleiben im Kontakt, virtuell coronaconform im “new normal”, der neuen Normalität hoffentlich bald Post-Corona.