Gaslager

Der Gaspreis (TTF in Amsterdam) ist zum Ende Mai 2023 auf ein Tiefstwert von 23,50 € pro Megawattstunde zur Auslieferung einen Monat später gefallen. Der Unterschied zum Höchstpreis von ca 300 € übersteigt die Erwartungen der meisten Kunden. Das sind die Spekulanten und Zwischenhändler. Der Preis für die Endverbraucher bewegt sich weniger. Kartellbehörden in Europa müssen wachsam bleiben damit die Endverbraucher nicht zusätzlich zur Kasse gebeten werden. Gaslager für zivile und militärische Zwecke wurden vom Bund billig vor Jahrzehnten verkauft (Privatisiert) und sind jetzt wieder zu einer unverzichtbaren Infrastruktur geworden. Der Kapitalismus fällt immer wieder in seine eigenen Fallen durch exzessive Volatilität. Öffentliche Infrastruktur braucht langen Atem und sollte dazu dienen, die übertriebene Spekulation mit der zeit Grundversorgung der Bevölkerung zu vermeiden. Gaslager, Öllager, Wasserspeicher und Stromspeicher bei zentraler Stromerzeugung gehören dazu. Dezentrale Lösungen verstärken die Resilienz und Souveränität weiter. Europäische Solidarität hilft enorm, diese Herausforderungen zu meistern. Wichtig ist nicht nur der Einkaufpreis, sondern der Preis vor und nach Steuern sowie Unterschiede zwischen Industrie und Haushalten (Beispieldaten OECD 2014 für Jahr 2012, IEA Gas Market Report various years). Die ökologischen Sauereien rund um die Shale-gas Förderung in den USA haben uns wohl geholfen, besser durch die künstliche Verknappung von Gas für Europa durchzukommen durch die Erhöhung der gesamten Fördermenge. Ein weiteres “worst case szenario” zur Bekämpfung von Preisschocks. (Paper Link)

Roby übernehmen sie

Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel spielen zurzeit bei großen Wachstumsphasen nach tiefem Wirtschaftseinbruch eine bedeutendere Rolle. Abgesehen von hausgemachten Problemen wie dem Brexit kämpfen immer mehr Wirtschaftssektoren mit dem Füllen von offenen Stellen. Lassen wir uns nicht blenden von den Heilsversprechen der Techgurus. Roboter in der Pflege sind in experimentalem Stadium. Automatische Kassensysteme in Supermärkten nur langsam bei der Einführung. Autonome Autos weit weg von einer größeren Markteinführung. Riesige Investitionen in Technik und parallele Verwendung von analogen und digitalen Systemen für eine längere Zeit erhöhen zunächst die Kosten. Selbstverständlich müssen wir die disruptiven Techniken und Marktentwicklungen mitgehen und uns oft an die Spitze der Bewegung setzen, aber der mittelfristige Übergang ist gestaltbar. Eine breite Basis an Grundkompetenzen ist die beste Beschäftigungsversicherung. Kurz- bis mittelfristig lässt sich auch in einfacheren Dienstleistungen bei entsprechender Erhöhung des Mindestlohns mehr als ein Grundeinkommen verdienen. Bis wir sagen werden: Roby übernehmen sie, läuft noch viel Wasser die Ahr hinunter. Mehr als viele Techniker, Raumplanende und Prognostiker für möglich hielten. Zusammen mit dem Trend, dass noch lange hybride Techniken Verwendung finden, wie in der Mobilitätsbranche, brauchen wir breite Kompetenzspektren.

FT 4.10.21

Zauberhaft

Allem Neuen wohnt ein Zauber inne. Das passende Zitat “Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne” von Hermann Hesse ist knapp kommentiert auf Wikipedia zu finden. Diese literarische Einleitung beschreibt recht gut, welche Verzückung bei start-ups zuweilen präsent ist. Nicht nur im Prozess des Gründens, sondern auch in den Kontakten mit Investoren und der ganzen Szene herrscht eine gewisse Extase vor. (Illustration W. Kandinsky 1923 Fröhlicher Aufstieg) Gut so, wenn das Start-up zu Beginn bereits eine Qual ist, Hände weg davon. Es wird oft nur schlimmer im weiteren Verlauf und Lebensverlauf. Selbst für enthusiatisch gestartete Unternehmende kommt allzu oft eine Ernüchterung, vielleicht sogar Sackgassen. Einen knappen Überblick bietet die Webseite “Deutsche Startups” oder “startbase“. Die großen Pleiten à la WIRECARD etc. lassen wir mal beiseite. Das kommentieren die Skandalmedien ausreichend, weil Quotenbringer. Mir geht es um die vielen kleinen zauberhaften Anfänge und persönlichen Lernkurven der Beteiligten. Julian Leitloff & Caspar Schlenk (Keinhorn) haben in ihrem Büchlein ein recht schonungsloses Bild gezeichnet, was es wirklich heisst, ein Start-up zu gründen. Vor allem braucht es ein dickes Fell und einen fast unbeugsamen Willen ständig “offen sein für Neues” und Lernbereitschaft.
Neben den biografischen Details der Gründenden bietet das eckige Büchlein aber auch einen Ausblick auf das Kompetenzspektrum für “Start-ups” und dann später hoffentlich “Grown-ups”. Verstreut über das Buch lassen sich Kompetenzen identifizieren: Buisiness Plan, Erstellen und Überarbeiten, Design Thinking, 3-D Druck, Buchhaltung, Marketing, Personal/Talent Management, Webpage Design und Interaktion über Social Media, Responsibility sowie Finanzen und Investmentkalkulus. Natürlich findet das alles im Team und dann im HomeOffice oder der Garage/Keller statt. Ist ne ganz schöne Packung und bitte nicht die “Deadlines” verpassen.

Das alles liest sich in dem Büchlein unterhaltsam und ohne Pathos der einen oder anderen Art. Aufgrund meiner soziologischen Forschungtradition war mir der Einstieg über das “Phänomen … Survivorship-Bias” (S.9) bedeutsam. Der Überlebendenbias besagt, dass wir meistens nur die Geschichten der Überlebenden (der Titanic) kennen, aber nicht die Geschichten der vielen hundert Ertrunkenen. Eine solche wird in dem Büchlein von den Gründenden erzählt, aber mit einem anderen Happy-End. Einmal Schiffbruch, hoffentlich kein Problem, Aufstehen und ein traumhaftes neues Schiff bauen ist das, was später einmal zählt.

Auszug aus dem Buch von Julian Leitloff & Caspar Schlenk (Keinhorn) S.12.