Flotow Jazzy

Es war wohl nur eine Frage der Zeit bis mir der Suchalgorithmus diverser Plattformen eine Jazzvariante einer Melodie von Flotow raussuchen und vorschlagen würde. In Verbindung mit einem Abstecher an Flotows Ehrengrabmal in Darmstadt war es dann so weit. Der überraschende Vorschlag eines Arrangements, das gleich mehrere Melodien von Flotow zitierte, war erstaunlich, aber eher gedacht für FreundInnen von Jazzimprovisationen, die Spaß an Kompositions- und Improvisationstechniken haben.
Die Beteiligung der Bayerischen Philharmoniker an der Produktion zeigt, was in den 70er und 80er Jahren so alles möglich war. Cross-over zwischen Musikstilen war sehr willkommen. Das ist meiner Einschätzung nach sogar noch vielfältiger geworden, aber nicht unbedingt häufiger. Also habe ich mich anregen lassen, die Herausforderung anzunehmen. Der Beginn schien mir zunächst wenig gelungen, die Referenz zu der bekannten Flotow-melodie nur am Rande hör- und erkennbar. Das Experiment wurde rasch zu einem anspruchsvollen Musikrätsel. Wie viele Melodien oder Werke wurden zitiert? Das wird zu einer musikanalytischen Aufgabe, die nicht so rasch zu lösen ist.
Für Personen, die wenig mit Flotow vertraut sind, wird das Rätsel vielleicht erst gegen Ende der Einspielung überhaupt als klassische, romantische Vorlage erkannt. Trick gelungen: Klassik mag ich nicht, aber das da schon. Das kann also vielleicht sogar Generationen zusammenbringen.
Der Arrangeur und Pianist Eugen Cicero, ein aus dem sozialistischen Rumänien geflohener Pianist und Komponist hat sicherlich in der oft als Trauermelodie bezeichneten Arie „Die letzte Rose“ Trost und Inspiration gefunden.
Laut seiner Biografie gab es dazu eventuell Anlass, die Selbsttötung seiner Stieftochter mit 14 Jahren. Letztere Geschichte ist in dem Roman und Kinofilm „Chritiane F. – Die Kinder vom Bahnhof Zoo“ ein Hintergrundmaterial gewesen. Vielen ist dieser Film in unvergesslich tragischer Erinnerung geblieben. Die Fentanyl-krise in USA und beginnend in Europa ruft solche Schrecken ebenfalls wieder in Erinnerung.
Die Discografie zu Flotow und die Verarbeitung durch Flotow der ursprünglichen irischen Volksliedvorlage könnte copyright-Expertinnen heute schier zur Verzweiflung bringen (Transponieren von D-Dur nach F-Dur erweckt mehr Tiefe statt Leichtigkeit und mehr Koloratur haben daraus einen internationalen operngängigen Hit gemacht, siehe Druckauszüge hier). Zu solchen Anlehnungen entwickeln sich heutzutage ganz umfassende Rechtsprechungen, die durch KI-unterstützte oder geschriebene Melodien nochmal etwas komplizierter werden. Einfach ignorieren geht nicht mehr. Das kann sehr teuer werden. Es bleibt uns ein passendes interdisziplinäres Lehrstück zum Thema Musik, Komposition und Gesellschaft.