Die Oper Stradella von Flotow wurde in 2006 eingehend besprochen. Sarah Hibbert hat ein immer wieder aktuelles Thema: Wie sollten vorherige Stilepochen in der Aufführungspraxis und der Komposition behandelt werden? Die Legende über den Sänger Stradella, der einem Fürsten die Braut ausgespannt hat und deswegen ermordet werden sollte, bietet einen interessanten (sex and crime) Plot. Wegen der Gesangskunst des Verführers, wollten die bestellten .Auftragsmörder den bezaubernden Sänger nicht töten. Tatort ist der Auftritt der Sängers in einer Kathedrale. Fritz von Flotow und Louis Niedermeyer haben beide fast zeitgleich eine Version des Librettos vertont. Es stellt sich nun die Frage, wie denn am besten der historische Stoff aus dem 17-ten Jahrhundert darzubieten ist. Beide Komponisten komponierten im Stil der romantischen Oper des 19-ten Jahrhunderts. Flotow wählt eine stärker historisierende Variante der mittelalterlichen Musik der Stradella-themen in seiner Oper. Die Klangfarben der mittelalterlichen Kirchenmusik passen aber nur schwerlich zu den Erwartungen des zeitgenössischen (1830er) Opernpublikums. Daraus resultiert,en eine spannende kompositorische Aufgabe und entsprechende Herausforderung für die Aufführung des Werks. Darüber hinaus müssen noch Unterschiede zwischen der ersten mehr populären Form der Oper für Paris (Vaudeville) und der später in Hamburg uraufgeführten Version der Flotowschen Stradella Fassung beachtet werden. Historisierung mit Anlehnungen an Gesänge von Palestrina sind nicht der Geschmack eines jeden im Publikum und der Kritiker. Grund genug, in die Opern mal wieder reinzuhören. Den Tenor, die Arie “Jungfrau Maria” singend, hätte ich wahrscheinlich auch nicht als Auftragsmörder töten können. Rolando Villazón ist darin recht überzeugend.
Quelle: Hibbert, S. 2006. Murder in the Cathedral. Stradella, Musical Power and Performing the Past in 1830s Paris. Music & Letters Vol 87 Nr. 4. doi:10.1093/ml/gcl081 (Photos, KS Kathedrale in Meaux, F).
Flotow Kontroversen
Während Flotows Lehrjahren in Paris ereigneten sich historische Ereignisse, wie zum Beispiel die Pariser Juli-Revolution 1830, Commune oder die 1848er Revolutionen in Paris und Deutschland. Später sollte der dt-frz. Krieg 1870 ein weiters einschneidendes Erlebnis darstellen. Über all diese historischen Verwerfungen hinweg sind Kunstschaffende ständig den nationalen Vereinnahmungen und Verwertungen ausgesetzt. Bei Flotow äußerst sich das in den Intrigen von unterschiedlichen Seiten, die gegen ihn gefahren werden. Von deutscher Seite mal als Demokrat verunglimpft (s.u.), wird er in Frankreich als frankreichfeindlich bezichtigt. Aktiv dagegenhalten, gehörte schon damals zum Geschäft im europäischen Raum. Mit dem Eintreten für Autorenrechte an Werken und deren Aufführungen schaffte er sich sicherlich nicht nur begeisterte Freunde in der Theaterwelt. Vergleichbar dem Disput über Patentrechte zu Hörnern, Trompeten und dem Saxophon, musste die Lebensgrundlage für viele Komponierende erst noch geschaffen werden. Eine Nominierung als Korrespondent der „Akadémie des Beaux-Arts“ ist da eine tolle Anerkennung. Die Probleme von höchst prekären Lebensverhältnissen von Kunstschaffenden im weitesten Sinne bleiben eine ständige Aufgabe und Herausforderung (Mäzene). Der kleine Fritz von Flotow hatte in seiner Kindheit mit genau diesen Einstellungen gegenüber dem oft brotlosen Beruf des Kunst– und/oder Musikschaffenden zu kämpfen. Als streitbarer Aristokrat mit demokratischen Zügen fiel er mitten in die soziale Zerrissenheit und politischen Wechselbäder des 19. Jahrhunderts.
Flotow Singelée
Frédéric de Flotow hatte sicherlich in Jean-Baptiste Singelée einen Fan. 2 seiner frühen Opern, Stradella und Martha, wurden mit Fantasien für Violine und Klavier von Singelée neu arrangiert. Der Geiger, Dirigent und Komponist Jean-Baptiste Singelée, geboren 1812 in Brüssel (damals noch zugehörig zu Frankreich) ist in Ostende 1875 verstorben. Eine spätere Würdigung im Kursaal in Ostende mit einem Konzert verdeutlicht die Wertschätzung über sein Wirken als Konzertmeister und Dirigent hinaus u.a. in Brüssel. Sein kompositorisches Werk ist beachtlich, auch wenn seine einzige Oper vielleicht nicht so viel Nachhaltigkeit erreicht hat, trotz des einprägsamen Titels: „Les dentelles de Bruxelles“. Uns interessieren hier seine Fantasien basierend auf Themen von Flotow, die als Drucke erhalten geblieben sind und in der „public domain“ einsehbar sind. Interessant ist auch die gemeinsame Zeit am „Conservatoire Royale de Musique à Bruxelles“ mit Alphonse Sax, der später die Patente auf die Instrumentenfamilie der Saxophone erlangte. Klassische Musik populär machen, war schon ein frühes Bestreben vieler Komponierenden und Musikschaffenden. Ganz nach dem Motto: „Ich mag keine Klassik, aber das gefällt mir“ werden so Personen erreicht, die sich ansonsten für ganz andere Musik und Rhythmen interessieren. Da hat der Fritz oder Frédéric de Flotow vielleicht noch mehr Chancen in der Unterhaltungsmusik. Mit Jacques Offenbach verband ihn eine Freundschaft, die “Co-creation” hervorgebracht hat. Beide verdienten sich wohl etwas Geld für den Lebensunterhalt in Paris in jungen Jahren.
Flotow Potpourri
Über das musikalische Thema der Flotow Oper „Martha“ gibt es der heutigen Popmusik vergleichbar spätere verkürzte Versionen. Zu einiger Beliebtheit ist das Potpourri zu den Motiven von Martha gekommen. Kleineres Orchester und ein melodisches vereinfachtes Arrangement konnten für kurze Konzertabende verwandt werden. Der Komponist und Arrangeur Spasny Op. 65 hat Flotows Melodien aus „Martha“ publiziert (desgleichen von Wagner und Verdi). Die Kopie in der KBR Bruxelles ist ein kompletter Orchestersatz datiert von 1886 und 28.7.1894. Aufgeführt wurde das Potpourri im Kursaal von Ostende, wahrscheinlich für die Sommergäste in der Hafenstadt mit naheliegenden Erholungsgebieten und Küstenorten. Neben einigen schönen handschriftlichen Kopien für Violine (5 Seiten) oder Pauken (1 Seite, viele Pausentakte) ist die Partitur für die 1. Violino als „Conducteur“ (assisté?) ausgewiesen und sehr abgegriffen. Interessant sind die Anmerkungen und Einfügungen, wahrscheinlich zu wichtigen Parallelstimmen. Die komplette Streichung ab dem Larghetto am Ende der Partitur, anfänglich in Des-Dur, war vielleicht zu anspruchsvoll, für das zu erwartende Publikum. Ein F-Dur Abschlussakkord vorher klingt erholsamer, zumal im Urlaub nicht wahr. Der an einem Gag interessierte Musikfreund amüsiert sich an der Kritzelei am Anfang. Aus MARTHA; POTPOURRI ist Martha, Potpourrie geworden, was so viel heißt, wie „Martha verdorben“. Der Dirigent (Assistent? Es gibt noch ein sauberes Conducteurexemplar in der Mappe) hatte wohl einen schwierigen befristeten Sommerjob angenommen. Alternativ könnten wir das aber auch interpretieren als Kommentar zu der vereinfachten, aber verdorbenen Version der Flotowschen Martha als Originalstück. Genauer wollen wir das gar nicht wissen, oder?
Flotow Europa
In der späteren Aufführungspraxis des Werks von „Fritz“ von Flotow, wie ihn seine Mutter in MeckPom nannte, sollte es für den in Frankreich ausgebildeten Jugendlichen einige Fallstricke zu überwinden geben. Bereits seine erste Oper „Alessandro Stradella“ hatte mit Produktpiraterie zu kämpfen. Der Übersetzer Gustave Oppelt (1844 Autor zu Stradella genannt BNF), mit Erwähnung auch von Alphonse Royer, hatten die Rechte des Librettos inne (Stempel des Dépôt Légal 1859 Nr 1139). Anlässlich der Erstaufführung in Brüssel am 2-3-1859 au Théâtre Royal de la Monnaie erschien das gedruckte Libretto versehen mit einem Echtheitsstempel. Bereits 1860 gab es dann Anlass, dass Gustave Oppelt mit der Unterstützung von „Frédéric de Flotow“ für seine Übersetzungsrechte kämpfen musste und dazu eine Notiz in der „La revue et gazette musicale de Paris“ veröffentlichen mussten. Autorenrechte waren und sind keine Selbstverständlichkeit. Die Lebensgrundlagen vieler Künstler, besonders der KünstlerInnen, auch heute, bleiben meistens prekär. Flotow war bereits beteiligt an Vereinen, die die Kompensation von AutorInnenrechten vertraten. Die „Dédicace“ an die königliche Hoheit Madame la grande Duchesse Douairière Alexandrine de Mecklembourg-Schwerin, née princesse de Prusse (Link Stammbaum), versteht sich dabei wohl auch als Dank für die Berufung von Flotow als Intendant an das Theater von Schwerin, gleich neben dem schönen Schloss. Mäzene konnten wohl über Stellenbesetzungen KünstlerInnen ihr künstlerisches Arbeiten weiterhin ermöglichen. Flotow brauchte auch die Unterstützung, die ihn zu seinem Lebensende nach Darmstadt umziehen ließ.