Sei ganz ruhig

Sei ganz ruhig. So heißt das kurze Gedicht von Angela Krauß und auch die erste Zeile. Es hat mich seit einiger Zeit schon begleitet.
Gerade der Eintrag zum Himalaya und den Besteigenden des Mount Everest hat mir die Zeilen erneut in Erinnerung gebracht. Für einige wenige besteht das Leben immer noch aus Sensationen. Immer höher, immer weiter, immer schneller. Dabei wissen wir, unser Planet hält das nicht aus.
Unsere Einkaufsmeilen suggerieren uns ein Übermaß an verpassten Gelegenheiten, wenn wir jetzt nicht zugreifen. FOMO (fear of missing out) ist allgegenwärtig und ein viel zu erfolgreiches Marketingkonzept, dem sich kaum eine Person entziehen kann. Die Selbsteinschätzung der Zeit, die uns verbleibt bis zum Tod (perceived time till death) oder unseres spezifischen Sterblichkeitsrisikos bezüglich Vermeidbarkeit oder allgemeinem Risiko, beeinflusst „unbewusst“ unser Verhalten. In Vergangenheit verhaftet sein, ist keine Lösung. Das Leben wird vorwärts gelebt, und rückblickend verstanden.
Bei einem gelegentlichen Rückblick wird vielen bewusst, es hat sich viel angesammelt (nicht nur im Keller). Aber mehr, muss es nicht werden, anders schon, besser vielleicht. Als Hommage an Angela Krauß mal ein 7-Zeiler, beeinflusst von der Konferenz im Europäischen Parlament „Beyond Growth“ im Mai 2023. Ruhig werden und ruhig bleiben, sollten wir beständig versuchen.  Klein- statt Großschreibung, flache Hierarchien, Gleichstellung bei Wörtern und Sätzen. Warum noch Satzzeichen? Denk dir deine Welt, wiedewiede wie sie dir gefällt.

bleib ruhig
bleib einfach ruhig
la vie est belle tel quel
hab keine angst was zu verpassen
es bleiben jahre zu verweilen
schau mal umher
da ist viel

Flaneur

Der bürgerliche Flaneur wird kritisch hinterfragt und erweitert erörtert im Festival DRiFT in Berlin. Das passt doch gut zu dem nötigen WALK und WALKING, welches uns schon alleine aus gesundheitlichen Aspekten von Nöten ist. Die subversive Form als kollektives Wandern, gefährlicher historisch waren die Märsche auf Rom von Mussolini, friedlicher Gandhi, aber beeindruckend erfolgreich. Ostermärche kennen wir noch als Beispiel dieser kollektiven Form des gemeinsamen Gehens und Erkundens, oder doch Beeinflussung oder gar Eroberung.
Die Idee ist alt, die Ansätze in unserer Zeit bleiben eine Herausforderung. Protestmärsche kennen viele Organisationen gerade aus den nicht-regierungs Organisationen (NGOs) und den Gewerkschaften. Präsenz zeigen und seine Meinung äußern, wenn sie nicht genügend Gehör oder Widerhall findet, gehört zum demokratischen Kanon. Eine entsprechende Wiederbelebung und Stadtteilerkundung als “Psycho-geografie” hat historische Wurzeln in Paris und Frankreich. Räumliches Vorstellungsvermögen und Orientierung ist eine Qualifikation, die messbar ist. Eine Stadt erlaufen bildet eine kognitive Landkarte der Straßen und Umgebung. Mal schwer, mal einfach, aber fast immer irgendwie anders.

Priming

Nicht nur PsychologInnen müssen über den „Priming Effekt“ Bescheid wissen. Ein vorhergehendes Wort, Bild oder eine kurze Geschichte oder eben ein Blog-eintrag können in der Erinnerung Assoziationen hervorrufen, die das Verständnis oder die Einordnung der neu hinzukommenden Information (Wort oder Bild etc. ) wesentlich beeinflussen.
Bei dem Blog-eintrag zu „Barbie“ kann das relativ einfach nachvollzogen werden. Mit einem Bezug auf die Zeit des Nationalsozialismus, über Täter und Opfer sowie Strafverfolgung und Gerichtsbarkeit als Vorgeschichte oder Vorlektüre wird bei dem Wort „Barbie“ schnell die Assoziation Klaus Barbie in Erinnerung gerufen.
Ein anderes Priming im Kontext von Geschichten zu Geschlechterrollen, Kinderspielzeug, Kleider anziehen, Schönheitsideale sowie Mode erzeugen mit dem nachfolgenden Wort „Barbie“ unmittelbar Assoziationen mit dem Konsumartikel der Barbie als weiblicher Spielfigur bei den meisten Personen. Unser Gedächtnis oder vorherige Informationen lassen uns nicht mehr unabhängig oder unvorbereitet neue Information aufnehmen. Dieser psychologische Effekt auf unsere Meinungs- und Informationsfreiheit kann rhetorisch oder strategisch zum Beispiel in Zeitungen genutzt werden. Wird Ökologie im Politikteil, Wirtschaftsteil oder dem Wissenschaftsteil einer Zeitung aufgeführt, wird bereits eine vorher bestimmte Erwartungshaltung der Lesenden erzeugt, der dann einfach entsprochen wird. Die transdisziplinäre Natur des Begriffs geht dabei schon weitestgehend verloren. Priming ist überall, das fängt wohl schon mit dem Wecker morgens an. Wie gut, dass die Snooze-Taste schon erfunden wurde. Zumindest kurz können wir uns der Illusion hingeben, noch für eine kurze Weile, dem allgegenwärtigen, alltäglichen Priming zu entkommen.