Hinweise

Manchmal kommen wichtige Hinweise von ganz überraschender Stelle. So mancher zufällige Besuch in einem Buchladen kann zu einer „Révélation“ werden. In Frankreich im Jahre 2021 war der autobiografische Roman von Sorj Chalandon in jeder besseren Buchhandlung zu finden. Der Titel „Enfant de salaud“ war nun wirklich nicht gerade einladend. Es deutete auf irgendeine Weise mehr in Richtung eines Kriminalromans als auf eine Autobiografie. Der erste Hinweis auf dem rückseitigen Umschlag stammte vom Großvater an das Enkelkind. „Un jour, grand-père m’a dit que j’étais un enfant de salaud. “ Eines Tages hat mir mein Großvater gesagt, dass ich ein Kind eines Dreckskerls (Deutschlandradio Kultur) wäre.
Wie kann man damit umgehen? Dabei ist es wichtig zu wissen, die Bedeutung im Französischen bezieht sich auf zuvorderst auf Kollaborateure mit den nationalsozialistischen Besatzern. Der deutsche Titel „Verräterkind“ spiegelt die 2. Ebene des Romans ebenfalls gut wider. Der eigentliche Verrat besteht für das Kind in dem Aufwachsen ohne Vergangenheitsbezug, ohne Erklärungen oder zumindest Versuche der Kommunikation darüber. Letztlich ist es das Aufwachsen mit den Lebenslügen des Vaters in dieser Autobiografie, die den Sohn nachdrücklich beeinflusst und zutiefst enttäuscht. Das Wahrheitsstreben muss sich eben jeder selbstständig erarbeiten. Das wird allerdings mehr oder weniger stark von den Eltern ausgebremst. Gut, dass es Archive gibt, so wie gut informierte Personen, die vielleicht auch mal eine Abkürzung des Weges bei der persönlichen Wahrheitsfindung ermöglichen.
Ein Zitat von S.118 verdeutlicht die zusätzliche 2 Erzählebene des Romans. Der Sohn berichtet, dass er sich als Verräter an der Familiengeschichte fühlt, „j’ai seulement l‘impression de trahir mon père et ton mari.“ Am Ende des Romans (S. 260) steht unverblümt die Schlussformel: „Le salaud, c’est le père qui m’a trahi. “
Es brauchte viel Recherche, sich der Wahrheit anzunähern. Es geht eigentlich viel weniger um die Verbrechen des Vaters während der Kriegsjahre, als um die Selbstfiktion der Person des Vaters. Somit wird der gesamte Roman zu einem Lehrstück mit vielen Hinweisen zu intergenerationellen Beziehungen weit über die Grenzen Frankreichs hinweg. (deutsche Ausgabe DTV).