Schachnovellen

Eigentlich gibt es nur „die“ Schachnovelle von Stefan Zweig aus dem Jahr 1942. Heutzutage schon zu haben für 3 € (Reclam) als Reisebegleiter. Die Ausgabe ist gerade so groß wie ein Mobiltelefon. Darauf habe ich natürlich noch ein Schachprogramm mit unzähligen Rätseln und Partien, nur für den Fall eines Rückfalls. „Damenopfer“ sind im Schach eine elegante Art, die mächtigste eigene Spielfigur zu opfern, um einen strategischen Vorteil oder gar Schachmatt zu erreichen. Kurz gesagt, der König opfert seine Dame, damit er den anderen König überwältigen kann. Shakespeares Dramen klingen dabei an.
Aktuelle Literatur „Damenopfer von Steffen Kopetzky“ setzt ebenfalls auf diese Analogie. Aber zurück zu der Schachnovelle. Meine Lesart der Novelle, bei der aus dem kleinen Bauernjunge, der spätere Schachweltmeister geworden ist, bezieht sich auf die Menschheits- und Realitätsflucht des Schachspielens. Eintauchen in die Welt der Figuren und verbundener Fantasien bietet sich an. Neben Königen und Königinnen, stehen Türme von alten Ritterburgen, Pferde samt Reitenden als Teil von Reitturnieren, Läufer mit Kurz-, Langstrecken oder Marathondistanzen, sowie die Menge an Bauern, die für Nahrung sorgen, Deckung bieten und die Logistik bewältigen. Essentielle Arbeitende eben. Schon bei Verlust eines einzigen Bauers ist die Partie bei Fortgeschrittenen meistens schon verloren.
Das Eintauchen in die Parallelwelt des Schachspielens kann zu schizophrenen Verhaltensweisen führen. Ausblenden aller realen Vorgänge und Leben in mehreren möglichen gleichzeitig stattfindenden Parallelwelten als Varianten von Schachpartien verlangt mentale Stärke. Ab einem gewissen Niveau des Eintauchens in die Schachwelten, gleichsam von Schachnovellen, wird die Rückkehr in die real stattfindenden Vorgänge ebenfalls schwieriger. Spielsucht kann die Folge sein. „Gamer“ mit ihren virtuellen Welten und Abenteuern wissen sicherlich nur allzu gut, welche Gefahren dort lauern.
Stefan Zweig hat seine Schachpartie im realen Leben gegen den Nationalsozialismus verloren. Die gewählte Selbsttötung seinerseits war ein Königsopfer, das ein spielerisches Damenopfer in den Schatten stellt. Zu Recht steht die Schachnovelle oft auf dem Schulcurriculum, nicht nur da, wo Schachspielen Unterrichtsfach ist.