2023-8-24

Das Datum ist mit dem Gedenktag der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine verbunden. Gerade die Aggressionen Russlands wollen diese Unabhängigkeit zurückdrehen. Das wird nur mit viel Kraft und Ausdauer gelingen können. 18 Monate im Krieg mit Russland war uns unvorstellbar. Wir werden unablässig unterstützen müssen, damit die Freiheit und Unabhängigkeit aller Teile der Ukraine wieder hergestellt werden kann.

Das Datum sorgt für zusätzliches Gedenken. Jetzt beginnt die Einleitung von durch Atomkraftwerke verunreinigtes Wasser in Fukushima. Das, was nie passieren sollte, hat sich doch als Tatsache bewiesen. Verunreinigtes Kühlwasser wird auf die Welt verteilt durch Einleitung in den Ozean. Private oder nationale Profite werden eingestrichen, aber die Kosten eines GAU (größter anzunehmender Unfall) werden auf die Weltgemeinschaft verteilt.

Ein Tag zuvor hat Indien, anders als Russland, seine Raumkapsel auf dem Mond ohne Bruchlandung aufgesetzt. Großmachtstatus verlangt auch überdurchschnittliches wissenschaftliches Engagement. Das lässt sich mit einer Mondmission sicherlich demonstrieren. Neue Demonstrationen von Unabhängigkeit durch große oder wirtschaftlich erstarkte Staaten werden eine multipolare Weltordnung befördern. Das passiert nicht von heute auf morgen. Es könnten sich vielfältigere Verhandlungsmöglichkeiten auf internationaler Ebene eröffnen. Noch mehr Geduld in der Diplomatie wird nötig sein. Gleichzeitig ergeben sich aber auch größere wirtschaftliche Druckmittel auf Staaten, die internationales Recht verletzen.

Image: Haus der europäischen Geschichte, Brüssel

Krieg

„Zugunsten des Krieges kann man sagen: er macht den Sieger dumm, den Besiegten boshaft. Zugunsten des Krieges: er barbarisiert in beiden ebenfenannten Wirkungen und macht dadurch natürlicher; er ist für die Kultur Schlaf- oder Winterszeit, der Mensch kommt kräftiger zum Guten und Bösen aus ihm heraus.“ (Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches Nr. 444 S. 668).
Wir werden der Ukraine ermöglichen, ihre Kultur zu erhalten und gestärkt durch den Krieg zu bringen. Das können wir ermöglichen und gleichzeitig der von Putins Russland eingeleiteten Barbarisierung seiner eigenen Bevölkerung entgegen wirken. Nietzsche hatte das recht klar durchdacht und die Gefahren des Krieges kühl berechnet. In seinen aphoristischen Betrachtungen (u.a. Menschliches, Allzumenschliches) nachzulesen, lohnt immer mal wieder. Es schärft den Blick für zu schnell Vergessenes.
Die Einen dumm, die anderen boshaft gemacht. Es lässt sich damit nichts zugute des Krieges sagen, außer es werden Tendenzen, negative wie positive, verstärkt. Der Prozess der Zivilisation (Norbert Elias) wird auf barbarische Zeiten zurückgeworfen. Nur mit Erhalt und Förderung der Kultur kann dem begegnet werden. Die Ukraine ist auf einem vielschichtigem, demokratischem und kulturellem Weg in die Zukunft. 

Über Clausewitz2

Hugh Smith von der „School of Humanities and Social Science” der Australischen Akademie der Streitkräfte überschreibt sein letztes Kapitel im Buch „On Clausewitz“ von 2005 „Farewell to Clausewitz?“. Das Fragezeichen signalisiert die Zweifel, ob Clausewitz nicht weiterhin für uns auch am anderen Ende der Welt eine wichtige Lektüre bleibt. Mit der Verfügbarkeit von Atomwaffen dachten einige Strategen, Abschreckung durch Nuklearwaffen würde neuerliche Kriege als Fortsetzung von Politik verbieten, aber Smith (2005, S.244) argumentiert, die Bedeutung von Clausewitz ist sogar größer geworden, denn die Notwendigkeit zu verstehen, wie Krieg und Politik miteinander verbunden sind, ist größer denn je. Michael Howard wird sogar mit dem Ausspruch zitiert: „We are all Clausewitzians now“ (S.257). Neben einer Ableitung von für das Militär notwendigen Qualifikationserfordernissen (S.264) erinnert er an die Überzeugung von Clausewitz, dass Staaten zum Mittel des Krieges greifen werden, „if the prize is worth it“ (S.266). Clausewitz war in den Worten von Hugh Smith (2005, S.271) hilfreich: „Modern war, used cautiously and carefully as an instrument of policy, avoids the worst though it does not promote the best”. Aus einer historischen und philosophischen Perspektive heraus, unter Berücksichtigung der „analyse clausewitzienne“, schreibt Hugh Smith: „No paradigm of war is right or wrong. It is a matter of how humanity collectively chooses to interpret war. Clausewitz offered a powerful interpretation of war based on the state and its capacity for rational pursuit of national interests that became the dominant- though not undisputed – paradigm for understanding war in Europe… “.

Gallie (1978) bleibt eine wichtige Referenz zum Thema Krieg und Frieden. Anders als Tolstoi hat sein Buch den Titel Philosophers of Peace and War“. Die von ihm gestellte Frage lautet: Wie sollten gute Außenbeziehungen eines Staates aussehen? (S. 141). Die Liste der zu konsultierenden Autoren reicht von Kant, Clausewitz, Marx, Engels bis zu Tolstoi. Abschließend stellt Gallie sich und wir uns die Frage, wann ist der Einsatz von Gewalt gerechtfertigt? Damit erweitert sich das Spektrum der Fragen allerdings erheblich.

Das Werk von Carl von Clausewitz hat eine beträchtliche Zahl von Analysten auf allen Kontinenten hervorgebracht. Mit dem neuerlichen Krieg in Europa in der Ukraine hat sich die 200-jährige Wirkungsgeschichte (Durieux, 2008, S.21) nochmals verlängert. Wichtig ist die Auseinandersetzung mit Clausewitz im deutsch-französischen Verhältnis, denn nur so können wir die Bedeutung des Politischen betonen und alles daransetzen, dass es zu keiner Austragung von Konflikten mit militärischen Mitteln mehr kommt.  Anders ist es mit der Rezeption von Clausewitz in Russland. Jacobs (1969) hat sich intensiv mit dem russischen Militärstrategen Frunze befasst, der mit einer Grabrede von Stalin gewürdigt wurde. Allein diese Tatsache lässt uns schon zusammenzucken. Der Name Frunze ist in der Militärstrategie verbunden mit dem Begriff der „proletarischen Militärdoktrin“. Der Kommentar von Jacobs zu dieser Strategie ist ernüchternd. Bei der proletarischen Militärdoktrin handelt es sich vornehmlich um eine ritualisierte, im Gegensatz zu einer realistischen Militärdoktrin. In einer solchen vereinigten Militärdoktrin werden Staatsziele, militärische Konzepte, lokale Besonderheiten and „skills“, zusammengeführt und übertragen auf militärische Belange. Frunze wird zitiert mit: „‘unified military doctrine‘ is the aggregate of military attainments and military bases, of practical methods and national skills which the country considers best for a given historical moment and which permeate the military system of the state from top to bottom. Aus dieser Langzeitsicht erklärt sich dann eventuell der “ritualisierte” Nazivergleich von Putin mit Bezug auf die Ukraine als der ewige Feind des Bolschewismus sowie die lokale Verbundenheit mit Teilen der Ukraine als ureigener Teil der größeren, russischen Heimat. Es stehen sich dementsprechend in der Ukraine eine ritualisierte Militärdoktrin einer auf Realpolitik basierenden Militärstrategie gegenüber. Was bleibt? Diplomatie als realistisches und strategisches Ritual bleibt der Ausweg aus der Krise. Krim-Sekt mit Putin? Geschmacklos ja, aber wenn es dem Frieden dient, vielleicht doch nötig?
Hintergrundliteratur: CARLES JOVANÍ GIL S.203-222. in “Pulling together or pulling apart? Perspectives on Nationhood, Identity, and Belonging in Europe” by Belenguer and Brady (eds.) 2020.

Über Clausewitz1

„Sur Clausewitz“ von Raymond Aron (1987) eröffnet die Perspektive auf das Gedankengebäude, Gedankenexperimente, Paradigmen und Theorien des Krieges. Aron beginnt seinen Vortrag 1980 in Berlin mit dem bekannten, markanten Satz von Clausewitz: Der Krieg ist die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln (S.14). Gescheiterte Diplomatie führt dann zur Steigerung der Gewalttätigkeiten. Wichtig ist seine Sicht auf Clausewitz als „théoricien de la guérilla, de l’insurrection populaire“ S.19. Der Begriff der Volksbewaffnung“, den Aron zitiert, haben wir erneut in der Bewaffnung von Personen in der Ukraine beobachten können. Aron hebt in seiner „analyse clausewitzienne“ hervor, dass es nach Clausewitz im Krieg nicht um Siegen geht, sondern um das Erreichen von bestimmten Zielen (S. 33). Siege sind Teil einer Taktik, nicht aber von strategischen Zielen. Das verdeutlicht die rationale Sicht auf Ergebnisse, Einsätze, Verluste und die Zeiten, vor, während sowie nach dem Krieg. Diese rationale Sicht auf Krieg ist erschreckend nüchtern, da Menschenleben nicht emotional in das Kalkül eingehen. Vergangene Kriege werden zur Konstruktion der Theorie verwendet und spätere Autoren wie Raymond Aron verwenden die Theorie zur Subsumierung und Erklärung der verwendeten Strategien späterer Kriege. Eine der überraschend anmutenden Folgerungen von Clausewitz ist beispielsweise die Überlegenheit der Verteidigung gegenüber einem Angriffskrieg. Dieser besteht darin, sich nach anfänglichem Rückzug die Orte der Kämpfe „wählen“ zu können. Zusammengenommen mit der Bewaffnung der Bevölkerung lässt sich im Krieg in der Ukraine, die Möglichkeiten der Verteidigung umreißen. Ein überraschendes Hinauszögern des Krieges ist vielleicht ein kleiner Sieg, es geht aber um die Erreichung von übergeordneten Zielen auf beiden Seiten. Was diese Ziele sind, bleibt zunächst verborgen und ist mehr im Politischen als im Militärischen zu suchen. Russische Innenpolitik, Machterhalt der Militäreliten auf der einen Seite, westliche Anbindung und Unterstützung auf Seiten der Ukraine. So könnte eine „realpolitische Analyse Clausewitzienne“ aussehen. Nüchtern, wie auf einem Schachbrett, eventuell versteckten Regeln folgend, die mit symbolischen Aktionen taktiert, oft die wirklichen Ziele verbergend. Auszug aus Le Monde vom 18.3.2022 ergänzt die Analyse.