Flotow CH

Noch 20 Jahre nach seinem Tod wurde Friedrich von Flotow recht prominent aufgeführt. Im Stadt- und Aktien- Theater der Stadt St. Gallen stand seine Oper “Martha” an einem Mittwoch 26.4.1905 auf dem Programm (Anfang 8 Uhr präzis), gefolgt von Mozarts Zauberflöte 2 Tage später.  Was für eine Konkurrenz. Das Plakat zur Aufführung ist in der Digitalen Bibliothek der Kunstbibliothek in Berlin anzusehen (Link).
Die Geschichte des Theaters in St. Gallen ist aus ökonomischen,  gesellschaftlichen und architektonischen Gründen interessant. Das Tagblatt berichtete in 2007 über den Abriss der historischen Städte und den sehr verspäteten Neubau einer moderneren, größeren und wirtschaftlicheren Spielstätte. Damals zu Beginn des 20. Jahrhunderts schon standen populäre Werke wie die Martha und die Zauberflöte auf dem Spielplan. Die Aktionäre des Stadt- und Aktien- Theaters der Stadt St. Gallen haben wohl schon immer etwas mehr auf das Geld geschaut, auch wenn es um Kunst geht. Mehr Zuschauende und Zuhörende ist demokratisch und nebenbei gut für’s Geschäft. Der Abriss war beklagenswerter Weise im Jahr 1971. Ein Neubau an anderem Ort startete bereits 1968. Dieser Bau musste ebenfalls nach 40 Jahren Spielzeit grundsaniert oder abgerissen werden.  Heute findet sich darin ein lebhaftes Programm mit Musicals als ausgezeichnetem Schwerpunkt und beispielsweise des Theaterstücks „Gott“ von Ferdinand von Schirach . Die Stadt und die Aktionäre sind wohl aus der finanziellen Verantwortung, aber das Kanton St.Gallen und der Lotteriefond sind eingesprungen. Bildquelle und Großansicht Kunstbibliothek SPK Berlin.

Flotow Aus

Irgendwann, so denkt man, sollte der Ruf einiger Komponierenden enden oder zumindest verblassen. Überraschend war das Auffinden auf der Musikplattform Spotify einer populären Sammlung von Liedern bei denen die letzte Rose von von Flotow zu hören ist. Ein Bayer oder Österreicher hätte vielleicht gerufen: Ja AUS is! Nix AUS ist es. Ein australisches Orchester (aus Adelaide) und Greta Bradman haben in 2018 auf der anderen Seite der Erdkugel, Flotow mit seiner „irischen“ Arie ins Programm genommen neben anderen Ohrwürmern. Die Romantik lebt. Einige Melodien finden weiterhin ihr Publikum. Erstaunlich, nach 150+ Jahren und 6000km Entfernung. Flotows Opernarien aus Stradella begeistern auch hin und wieder die Fangemeinden der Startenöre.

Jury

The are many forms of a jury. In many judicial processes a jury accompanies judges or the president of a jury in the preparing and voting on the verdict. In sports competitions or arts contests it is also common practice to have a jury of several persons to assist in the decision-making process. In academia we are also used to sit on juries to award Ph.Ds or academic positions or fundings. From famous film festivals (Cannes or Berlin) we know the tricky part to select jury members and supervise the proceedings of the jury to follow the official rules of how to accord prices according to a set of predefined rules. The basic proceedings are very similar irrespective of field of application, academia, film, music. Decision-making of the jury is usually based on some voting procedures, attribution of scores and summarising across jury members (to avoid or minimize the effect of corruption for example). Of course, there is a scientific literature on fallacies to avoid for juries themselves or in the selection of jury members.
The Concours Reine Elisabeth in Brussels 2023 has large jury. This year the enlarged diversity of the jury included the amazing lyric soprano Sumi Jo. The slightly more diverse jury (compared to 2018 song competition) might have contributed to the impressive participation of Asian singers in 2023. In competitions the quality of the jury has already a role in the number of international submissions you are likely to receive. Signalling diversity in the jury, therefore, is an important element of diversity of participants and probably intensifies competition through a broader reach. The winner of 2023 Baryton singer Taehan Kim performs a repertoire of Lieder and Arias in at least double the required 2 (European) languages. The impressive performances in the Demi-final with piano accompaniment and then the Final with the full Orchestra were cheered by the jury (in points) and the audiences as well. The repertoire of Taehan Kim ranges from Beethoven, Donizetti, Poulenc, Schubert, Verdi, Tschaikovsky to Schoenberg in the semi-final and from Wagner, Mahler, Korngold to Verdi in the final performance. Born in 2020, he certainly has a steep career in front of him, in addition to a potentially genetical predisposition as researchers just published in Science Advances 2023.
Praise goes to the accompanying pianist, the orchestra and the jury as well, which has encouraged diversity in applications and throughout the competition. An important training in cross-cultural competence for all performers involved. Rather than having a contest behind a curtain, for performers and/or the jury, the whole competition is an excellent piece of daring far reaching transparency of a jury’s work. Everybody online can still listen to the competition performances and judge (or train judgement) for themselves, because “the jury is still out”.

Ekman + Eyal

Die Ankündigung im Programm der Staatsoper in Berlin zur Aufführung von 2 Tanzstücken (1) Alexander Ekman und (2) Sharon Eyal im Programm spricht dementsprechend von Tänzer:innen des Staatsballetts Berlin mit Musik vom Tonträger. Das hohe Haus hat es mit den beiden Stücken geschafft, das reformierte Ballett in das 21. Jahrhundert zu retten. Dazu gehört neben neuen Bewegungsformen, die freieren Umgang mit dem Standardrepertoire des Balletts erlauben, auch die Musik der jungen Generation in die Staatsoper reinzulassen. Ja genau, dazu gehört Technomusik in der Staatsoper. Das Publikum hat sich deutlich verjüngt und so manchem älteren Herrn oder Dame fliegt da schon mal das Blech weg. Die Clubszene in Berlin hat ihre balletttänzerische Erweiterung gefunden mit ihrer Musik als Kunstform. Das gelingt besonders durch die Musik von Ori Lichtik „Strong“. Die provokanten Kostüme, die gekonnt mit Genderrollen spielen, ergänzen auf eindrückliche Weise die kraftvollen Ausdrücke der Tanzenden. Anspielungen an Maurice Béjart’s Bolero oder „Le sacre du printemps“ erfreuen Tanzbegeisterte. Gruppendynamik, Solo und Pas de Deux bauen dennoch auf dem klassischen Figuren- und Konstellationsrepertoire auf. Auch oder gerade in der Clubszene der Realität gibt es die Feuervögel, Flamingos und schwarzen Schwäne. Zur Vorbereitung auf den Tanzabend empfiehlt sich der Besuch in einem der Berliner Clubs. Gerne auch einmal wieder in den Berliner Zoo gehen und die Haarpracht der Orang-Utans in der Bewegung bewundern. Die uns genetisch sehr Verwandten haben uns in puncto Haarpracht, besonders auch im Alter, einiges voraus. Mehr Bewegungsfülle und Begeisterung für Bewegung wecken beide Stücke auf nachhaltige Weise. „Nobody leaves the room unmoved“. Ein bewegender, tänzerischer Abend Unter den Linden.

Royal

Im Palais-Royal, könnte man sagen, geht es noch immer recht „royal“ zu. Unweit vom Louvre lässt sich mitten in Paris fast noch etwas königliches Flair atmen. Unter den Arkaden oder im Garten weht Sommer wie Winter ein kühles Lüftchen und „Over-tourism“ ist noch nicht wirklich ein Problem. Auf engstem Raum findet sich viel Geschichte und Zeitgeschichte ein. Wie der Plan zeigt, haben sich dort einige prominente Institutionen angesiedelt. Neben dem Théâtre du Palais-Royal, ist die Comédie Francaise und das Ministère de la Culture et de la Communication dort angesiedelt. Conseil d’État und Conseil Constitutionnel ebenso. Viel Prominenz, dennoch ist eine überschaubare Polizeipräsenz vor Ort. Das war nur kurzzeitig anders, als der Conseil Constitutionnel über die Reform des Rentensystems zu urteilen hatte. Ein Schelm, wer denkt, dass sich die Theater der Nachbarschaft kurzerhand in den ehrwürdigen Räumen des Conseils verlegt hatten, oder umgekehrt?
Moliére, Hugo stehen noch oft auf dem Programm der Comédie francaise, aktuell jedoch wird Danton’s Tod von Georg Büchner gespielt. Passend zu aktuellen politischen Reaktionen auf den Straßen von Paris und darüber hinaus wird Revolution geprobt. Demokratie ist die politische Form, die Legalität, aber auch Legitimität von Politik am besten ermöglicht. Beides braucht Institutionen und Verfahren, die den Willen des Volkes entsprechend berücksichtigen. Lesen von Jean Jacques Rousseau und sein Konzept des „volonté générale“ bleibt dazu weiterhin erfrischend. Dann am besten wieder zurück in die Bibliothek BnF Richelieu gleich um die Ecke.

Forschen

Forschung betreiben ist meistens das Bohren dicker Bretter. Verständlich, dass das nicht jedermanns oder jederfraus Sache ist. Wer sitzt schon gerne alleine in einer kleinen Zelle und schreibt seine Forschungsergebnisse auf oder liest endlos lange und viel vorherige Forschung? Da ist ein Besuch in Archiven, Laboren oder anderen Datenarchiven schon etwas unterhaltsamer. Forschung ist überwiegend theoriegeleitet. Von Einzelfällen abstrahierende Theorien lassen die Forschenden entweder an diesen Theorien weiterarbeiten oder vielfach irgendeine Form von Daten sammeln mittels derer sie dann die Theorie(n) testen können. Eine Herausforderung an diese Arbeitsweise stellt die rein datengetriebene Induktion dar. Sozusagen der „deus ex machina“ erwächst aus einer hinreichend großen, am besten sich ständig erweiternden, Datenbasis. Wetterdaten, Verkehrsdaten, Krankheitsdaten, Börsendaten und Arbeitsmarktdaten bieten für sowohl für deduktive als auch induktive Verfahren hervorragende Beispiele. Datensammeln in Archiven, beispielsweise Rekonstruktion oder Interpretation eines Lebensverlaufs aus Korrespondenz ist ein klassisches Verfahren von meistens LiteraturwissenschaftlerInnen. Manche Archive belohnen die Forschenden mit Glanz und andere mit Gloria, selten mit beidem. Glänzende Aussichten bietet die biographische Forschung zu Komponisten und MusikerInnen in Paris. In der kleinen, aber sehr feinen Bibliothek der „Opera Garnier“ bin ich zu dem Komponisten Flotow fündig geworden. Es befinden sich dort in der Komponistenakte Zeitungsausschnitte, die 150 Jahre alt sind und ein Büchlein aus frühen DDR-Zeiten, die den Aristokratenkomponist durchaus kritisch durchleuchten. Die Ablenkung auf dem Weg in die Bibliothek und dem Archiv der Oper ist allerdings atemberaubend, also nur für ganz überzeugte Forschende zu empfehlen. Die meisten werden von der Opulenz des Bauwerks so beeindruckt, dass jegliche Forschungsfrage und Theorie „backstage“ verwiesen werden. Selbst backstage kann es ziemlich schön sein.

Flotow Stradella

Die Oper Stradella von Flotow wurde in 2006 eingehend besprochen. Sarah Hibbert hat ein immer wieder aktuelles Thema: Wie sollten vorherige Stilepochen in der Aufführungspraxis und der Komposition behandelt werden? Die Legende über den Sänger Stradella, der einem Fürsten die Braut ausgespannt hat und deswegen ermordet werden sollte, bietet einen interessanten (sex and crime) Plot. Wegen der Gesangskunst des Verführers, wollten die bestellten .Auftragsmörder den bezaubernden Sänger nicht töten.  Tatort ist der Auftritt der Sängers in einer Kathedrale. Fritz von Flotow und Louis Niedermeyer haben beide fast zeitgleich eine Version des Librettos vertont. Es stellt sich nun die Frage, wie denn am besten der historische Stoff aus dem 17-ten Jahrhundert darzubieten ist. Beide Komponisten komponierten im Stil der romantischen Oper des 19-ten Jahrhunderts. Flotow wählt eine stärker historisierende Variante der mittelalterlichen Musik der Stradella-themen in seiner Oper. Die Klangfarben der mittelalterlichen Kirchenmusik passen aber nur schwerlich zu den Erwartungen des zeitgenössischen (1830er) Opernpublikums. Daraus resultiert,en eine spannende kompositorische Aufgabe und entsprechende Herausforderung für die Aufführung des Werks. Darüber hinaus müssen noch Unterschiede zwischen der ersten mehr populären Form der Oper für Paris (Vaudeville) und der später in Hamburg uraufgeführten Version der Flotowschen Stradella Fassung beachtet werden. Historisierung mit Anlehnungen an Gesänge von Palestrina sind nicht der Geschmack eines jeden im Publikum und der Kritiker. Grund genug, in die Opern mal wieder reinzuhören.  Den Tenor, die Arie “Jungfrau Maria” singend, hätte ich wahrscheinlich auch nicht als Auftragsmörder töten können. Rolando Villazón ist darin recht überzeugend.
Quelle: Hibbert, S. 2006. Murder in the Cathedral. Stradella, Musical Power and Performing the Past in 1830s Paris. Music & Letters Vol 87 Nr. 4. doi:10.1093/ml/gcl081 (Photos, KS Kathedrale in Meaux, F).