Flotow Darmstadt

Warum wählt ein weitgereister Komponist Darmstadt als seine finale Station im Lebensverlauf? Familiäre und persönliche Angelegenheiten haben sicherlich viel dazu beigetragen vgl. Biografie. Kreativität in fortgeschrittenen Lebensphasen hat viel mit professioneller Routine zu tun, aber eben auch mit harter Arbeit, wenn die Ansprüche an die eigene Kreativität und Arbeit den groben Linien des eigenen Werdegangs gerecht werden sollen. Annehmlichkeiten des Lebens, wie Parks und einfache Erreichbarkeit von kulturellen Events, waren im aufstrebenden Darmstadt vorhanden. Die Nähe zu Frankfurt (Buchmesse für Libretti), Wiesbaden und Mainz sind weitere Pluspunkte. Ruhe zum Arbeiten gleichfalls.
Die Stadt Darmstadt hat es dem Komponisten seine Wahlheimat langfristig gedankt. Auf dem Alten Friedhof in Darmstadt befindet sich die eindrucksvolle Gedenkstätte für Flotow, ihm zu Ehren gewidmet von seiner Gattin Rosa und seiner Schwester Bernardine sowie den beiden Kindern.
Für seine beachtliche Zahl an Followern, beispielsweise 60.000+ auf der Plattform Spotify, wird es besonders freuen, dass sein größter Hit „die letzte Rose“ bildlich bei der Grabpflege eine anmutende Rolle spielt.

Selfie 3D

Wir meinen gerne die heutigen Gewohnheiten, wie die ständigen Selbstbildnisse seien eine Erscheinung des 21. Jahrhunderts. Weit gefehlt. Wer es sich früher schon leisten konnte, hat sich malen lassen. Photographen haben später diesen Markt übernommen. Aber eben auch Kunstschaffende haben seit langer Zeit ihr Selbstbildnis gezeichnet, gemalt und in Stein oder Gips geformt. Selfies sind daher eher die Demokratisierung der Möglichkeiten, sich selbst zu inszenieren. Eben sich so zu portraitieren, wie sie oder er sich selbst sieht, sehen möchte oder gesehen werden möchte. Es ist daher weniger ein narzisstischer Charakterzug die Antriebsfeder, sondern für die meisten Menschen steht ein Teilen, eine Form der Interaktion mit anderen im Vordergrund. Die portraitierte Person ist da, auch wenn sie gerade nicht da ist.
Diese Intention haben Herrschende jahrtausendelang genutzt und sich Mausoleen und Pyramiden errichten lassen. Gut, dass diese Praxis weit in den Hintergrund getreten ist. Heute regeln wir bereits unseren digitalen Nachlass in Ergänzung zu unserer analogen Hinterlassenschaft. Für viele werden dabei, ganze Sammlungen von vielfältigen Selbstbildnissen zu verwalten sein. Die 3D-Ausdrucke unserer Gesichtscanns samt mehr oder weniger noch vorhandener Haarpracht kommen dann in eine eigens vorbereitete Vitrine. Selbstverständlich gehören die MRTs und sonstige Scanns von ZahnärztInnen auch in die Sammlung. 3D ist schon ein guter Anfang auf der Interaktionsreise mittels Selbstbildnis. 4D Realisationen, wie Yoko Ono mit ihrem Cut Piece 1967 kamen dann später. (Photos from Friedrichwerderschen Museumskirche, Berlin 2023 Austellung Ideal und Form, li: Schadow Selbstbildnis, mi: von Kahle, re: Rauch).

Everyday objects

If you were wondering whether everyday objects can be a piece of art, then the exhibition at the “Neue Nationalgalerie Berlin” is for you. Isa Genzken challenges our traditional view of everyday objects through small transformations of these objects. At first sight you “only” see something utterly familiar to you. A window, a radio, a rose or a wheelchair are immediately recognisable. However, all objects have a little twist to them causing some alienation, questioning or finding new connections. This is the stimulating experience of a visit of the exhibition. The booklet gives an informative overview of choice of sculptures chosen for the exhibition. Walking around in the spacious entry forum allows to appreciate the objects from many angles and in different lighting including twilight. Allow yourself to be challenged. Distancing your perspective beyond the obvious object you recognise broadens our vision of what we see and how we perceive it. The huge pink rose in front of the gallery overshadows even the monumental appearance of the Neue Nationalgalerie. In memoriam “Rosa Luxemburg” and Karl Liebknecht who were murdered not far away, near the “Landwehrkanal” in 1919.
Some visitors might like the skyscraper models she created to remind us that “design catastrophe” with the usual high rising buildings are pervasive around the world. Sculpture as architecture or architecture as sculpture has been her forward looking work from 2008 “Ground Zero – Hospital”.
With the construction work in full swing in the neighbourhood of the gallery with the design of a barn (Scheune) we understand the choice of the artist as a timely reminder that Berlin could be more daring in the architectural design.

Stilfindung

Kunstschaffende brauchen Jahre, oft auch Jahrzehnte, um ihren eigenen Stil zu finden. Das ist durchaus ein schwieriges Unterfangen. Frühes Ausprobieren verschiedener Kunstrichtungen ist dabei so etwas wie ein Experimentieren mit unterschiedlichen Werkzeugen. Da hilft es enorm, wenn schon einmal ein reichlich bestückter Werkzeugkasten im Elternhaus vorhanden ist. Das war in der Künstlerfamilie der Giacomettis der Fall. Der kleine Alberto hat mit Vater Giovannis Tinten, Federn, Ölfarben und Pinseln früh angefangen, sich auszuprobieren. Eltern, der kleine Bruder, Landschaften, Posen vieler Verwandten und Bekannten sowie jegliche Gegenstände wurden zu Objekten des Skizzierens für den Jugendlichen. Schule war nicht wirklich interessant, selbst die École des beaux arts in Paris erweiterte zwar sein Repertoire an Techniken und Sichtweisen, aber auf dem Weg der Selbstfindung scheint es nur eine Passage gewesen zu sein. Auf dem Weg der Abstraktion hat Paris allerdings die Kreativität stimuliert. Seine Skulpturen von Köpfen der Familie haben sich verallgemeinert, hin zum Universellen. Weit über seine Heimat hinaus sagen die Skulpturen des späteren Albertos uns etwas über Menschheit und Menschheitsgeschichte. Den Weg zu verstehen, den der „L‘homme qui marche“ bis zu seiner Verwirklichung beschritten hat, ist in der Ausstellung im Bündner Kunsthaus nachvollziehbar. Vielleicht mehr ein Lehrstück in Pädagogik und Kunstpädagogik, als in grandiosen Werken der Giacomettis. Welch ein Glück, dass sich Alberto von den Stilrichtungen anderer abgesetzt hat und einfach sein eigenes Ding gemacht hat. Beruf und Berufung können nahe beieinander liegen. Das ist die gute pädagogische Message.

Père de Giacometti par Alberto 1927 Kunsthaus Zürich gezeigt in Chur 2023