Anstiften

Kürzlich, Ende 2022 wurde ein Selbstbildnis von Max Beckmann als teuerstes in Deutschland versteigertes Bild gefeiert. 23 Mio. € sind schon viel Knete. Dann lernen wir erst wieder MäzenInnen schätzen, die vor Jahren schon der Neuen Nationalgalerie vier Bilder zur öffentlichen Bewunderung von eben diesem Künstler gestiftet haben oder den Ankauf durch öffentliche Mittel ermöglicht haben. Hildegard von Flotow wird dabei in der Neuen Nationalgalerie aufgeführt. Die beginnende Provinienzforschung öffentlicher Museen hat dazu bereits nachgeforscht (hier). Ankäufe von Kunstschaffenden in finanzieller Notlage oder im Exil helfen diesen. Da der Kunstmarkt mit seiner Versteigerungspraxis gleichzeitig als Inbegriff der marktwirtschaftlichen Prozesse von Angebot und Nachfrage funktioniert, bleiben mit Spekulationsgewinnen, Geldwäscherei, Erbschaftsrecht und private Liebhaberei ebenso oftmals ein unangenehmer Beigeschmack. Schon lange dürfen wir der Kunst nicht mehr naiv gegenübertreten. Bewundern können wir in öffentlich zugänglichen Museen, private Sammlungen bergen erhebliche Risiken, eventuell des Verlusts der Kulturschätze. Anstiften zum Stiften ist das treffende Motto der jährlich stattfindenen Stiftungstage. Fisch sucht Fahrrad könnten wir sagen, aber das ist ein völlig anderes Thema für den Soziologen. 

Bogenschütze

Der Bogenschütze, seine Materialien und Techniken, hat seit Jahrtausenden die Menschheit beeinflusst. Im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sind schon mehr als 10.000 Tote auf ukrainischer Seite zu beklagen. Der stille Protest vor der russischen Botschaft in Berlin gibt davon Zeugnis. Wer hätte gedacht, dass Heckenschützen in Europa wieder wichtig im Krieg werden. Historisch ist die Bedeutung vielfach belegt und die Künste haben ihren Anteil daran. Auch im Kulturforum Berlins wird wieder aufgerüstet. Nach? der Skulptur “Bastion” vor der Stabi West, hatte die Nationalgalerie ihren dreifachen “Bogenschützen” von Henry Moore auf die Bastion gerichtet. Jetzt hat die Nationalgalerie mit dem Kauf der “Bogenschützen” von Sascha Wiederhold erneut aufgerüstet. Das farbenfrohe Werk des Malers und Bühnenbildners ist derzeit, gleich in der Eingangshalle unten zu bestaunen. Die “reclining figure” von Moore am UNESCO-Gebäude in Paris hat mich aufgrund des verkörperten Optimismus eher inspiriert, wenngleich das “Three Way Piece No.2 Archer” klare Stellung im Kulturforum bezieht. Die Stabi West hat mit der Renovierung der Stabi Ost und direkter Busline ihre backup Truppen deutlich verstärkt. Mit der Nachbarschaft der Scheune wird die Neue Nationalgalerie, bei erfolgter Unterstützung durch die Gemäldegalerie und der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel, in einigen Jahren das Kulturforum dominieren. Das WZB hat schon mal seine Kathedrale aufgestockt und die Digitalisierung wird von der Stabi insgesamt dynamisch vorangetrieben. Schon längst ist die Kultur in einem umfassenderen Cyberwettkampf, der zunächst zwischen den Generationen ausgetragen wird. Während die Stabis von der jüngeren und mittleren Generation dominiert werden, haben die Tempel der Moderne ein Alterungsproblem. Ob es nach den Kirchen die Museen treffen wird, bleibt zu befürchten. Die hohen Studierendenzahlen verstärken die Truppen der Stabis. Letztlich hängen alle diese Institutionen am Tropf der öffentlichen Finanzen (Statistikinfo). Es wird mehr MäzenInnen brauchen und viele kleine Fördervereine, die diese wertvolle Vielfalt erhalten wollen. Retten wir, was noch zu retten ist.

 

Berlin Kulturforum

Am 4.11.22 war mal wieder Museumssonntag. In großer Zahl strömten die Besuchenden in die Berliner Museen. Da war ich auch dabei. Rechtzeitig Zeitfenster zu buchen, war die Devise. Selbst das war mir gelungen. So habe ich mir einen musealen Overkill – “plein dans les yeux” geschaffen, der einen fantastischen kulturhistorischen Gesamteindruck vermittelt hat. Für mich beginnt die architektonische Zeitreise mit dem Bau von James Sterling und seiner “rosa, himmelblauen Denkfabrik” mit seinem einmaligen Grundriss. Dort lässt sich nicht nur im Campanile träumen (C Beispiel hier). Im Video gleich am Anfang zu sehen ist das WZB. Dann geht es über die Gemäldegalerie und dem Kupferstichkabinett zur Matthäuskirche samt Glockenschlag. Die Phiharmonie ist der gold-gelb strahlende Diamant der Schmuckreihe, sicherlich auch wegen der “ansteigenden Weinberge” (Zitat von Architekt Hans Scharoun) darin. Farblich sticht das Zeltdach des windigen Sony Centers hervor. Der Bahntower am Potsdamer Platz hat schon mal das Licht ausgeschaltet, damit die Züge noch rollen. Das Keuzfahrtschiff oder der Containerkoloss des gebürtigen Bremerhavener Scharoun (Staatsbibliothek) ist jetzt sonntags geöffnet und leuchtet in bescheidener Sachlichkeit. Die NNG – Neue Nationalgalerie lässt durch die Beleuchtung und transparente Architektur auf die laufende Ausstellung von “Bonvicini” blicken. Dazugehörig ist die Klanginstallation, die im Hintergrund zu hören ist, auf der äußeren Wandelhalle, die früher schon zu Choreografien inspirierte. Ach richtig, es fehlt noch etwas. Bei Tageslicht ist der Traum vorbei, da wird an dem nächsten Megaprojekt gebaut, “der Scheune“. Naja, den Grundriss kennen wir ja alle.  Das Berliner Psychogramm am Ende des Videos zu sehen, heisst: “I must have a wall behind me”. Ich muss eine Wand/Mauer hinter mir haben. Aber so richtig los kommen von den Mauern, können wir hier nicht, oder?

Flotow Martha

Die musikalische Schaffen des Fritz von Flotow ist recht umfassend. Seine aufwendigen Opern werden bis auf „Martha“ kaum noch gespielt. Die letzte mir bekannte Aufführung von Martha war in Schwerin mit Radioübertragung im Deutschlandfunk 2009. Im Auswahlrepertoire für den „Concour de la Reine Elisabeth“ war noch in 2018 auch die Arie “Ach so fromm” aus Martha zu finden. Der Sieger Samuel Hasselhorn hatte allerdings eine gute Wahl mit Fokus auf Liedern von Schubert und Schumann gelegt, die scheinbar bei der aus Bayern stammenden belgischen Königin Elisabeth sehr beliebt waren. Es verwundert nicht, wenn Fritz von Flotow, dessen Oper Martha in Wien uraufgeführt wurde, weiterhin auf der Liste der möglichen Stücke im Wettbewerb steht. Der Nachwuchswettbewerb hat eine karriereprägende Funktion für viele Teilnehmende. Die meisten Aufrufe auf Youtube hat die italienisch gesungene Version von Ach so fromm aus Marthas zum Beispiel von Pavarotti. Oder auch von Caruso oder von Placido Domingo, dessen langjährige Frau selbst Marta hieß. Die deutsche Fassung, gesungen von Placido Domingo ist eine von meinen Favoriten (hier). Die ältere Version, die ich von ZDFtheater gefunden habe, hat ihren eigenen Charme durch die pantomimisch begleitete Ouvertüre von Sama Molcho und die klar gesungenen Arien. Ab 1h17 gibt es dann die “Ach so fromm” in historischen Kostümen. Diese Interpretation erscheint mir sehr an die von Jacques Offenbach begründete französische Tradition der Operette angelehnt zu sein. Aus der Biografie von Rosine Swoboda, die Witwe von Friedrich von Flotow ist bekannt, dass sich die beiden Komponisten kannten und freundschaftlich verbunden waren. Mit 3 Mio Aufrufen ist „Die letzte Rose“ gesungen von Lila als Trauerlied wohl doch der populärste Hit vom Fritz. Das Europäische Jugendorchester hat Arie und Duett 2013 in London aufgeführt. Also, wer nun mal „Martha“ als Tenor mitsingen möchte, kann die Noten unten oder die karaoke Version oder Klavierbegleitung einer Pianistin aus Berlin-Schöneberg heranziehen. Worauf warten wir noch? Ich stelle die Dusche schon an, länger als 3 Minuten sollen wir eh nicht mehr duschen. Die Entzauberung der Tenorstimme können wir z.B. hier leicht verständlich nachlesen (Link), Schalldruck ist das akustische Geheimnis.

Marx-Wagner

Begleitend zu den Ausstellungen zu Karl Marx und Richard Wagner fand eine vom DHM organisierte Vortragsreihe statt. Die Links (hier) zu den Hördokus sind eine anregende Erweiterung der Ausstellung und stützen die These der Verbindung zwischen Karl Marx und Richard Wagner auf einer abstrahierenden Meta-Ebene. Die Vorträge, Gespräche und Diskussionen informieren und vertreten wissenschaftlich fundierte Thesen. Die müssen gerade nicht von allen geteilt werden, aber eine Haltung zu dem Thema haben die meisten Menschen in der Welt, besonders wenn wir an die Millarden von Menschen jenseits von der westlichen Welt denken. Es ist also auch an uns, diese Diskussion über den Kapitalismus zu führen. Hören wir mal rein. Alle dauern 1h-1.30h!
EinleitungM&W Kosky + Bisky, M&W Nietzsche, M&W Mahatma Gandhi, M&W Viktoria Kaiserin Friedrich, Ein Artikel aus der Financial Times von Martin Sandbu vom 18.8.2021 und Martin Wolf vom 21.11.2021 ergänzen die Diskussion: Wenn der Kapitalismus weltweit gewonnen hat, was war dann noch mal der Wettbewerb? Bitte öffnen Sie jetzt ihren Computer, Sie haben 3 Stunden Zeit für die Beantwortung. $???$ Danach speichern Sie bitte das Dokument in der Cloud und nehmen es zur Evaluation nach 10,20,30,40 Jahren wieder hervor. Hat sich ihre Meinung über den Sachverhalt zwischenzeitlich verändert? THX for your feedback.

Flotow Leben

In der Musikabteilung der Stabi Ost fand ich im Lesesaal der Musikabteilung einen schmalen Band zu einer Biografie von Friedrich von Flotow, dem Komponisten, verfasst von seiner Witwe aus 3. Ehe Rosa Rosine Swoboda, erschienen 1892 in Leipzig im Verlag Breitkopf und Härtel. Der Vater des Komponisten Johann Adolf Wilhelm *17.9.1785 wurde bereits als Offizier im Alter von 21 Jahren in der Schlacht bei Jena verwundet. Friedrich von Flotow wurde in bescheidenen Verhältnissen am 26.4.1812 in Teutendorf geboren. Sein Vater und Verwandte, (S.17) haben ihm, laut seiner Witwe, viele Steine in den Weg gelegt, damit Fritz keine musikalische Laufbahn einschlägt (S.27-28). In unterschiedlichen Pensionen zuletzt in Lüdershagen bei Güstrow lernte Fritz Harmonielehre und weilte tageweise bei der Schwester seiner Mutter. Auch mütterlicherseits wird ein dänischer Hauptmann von Böckmann auf Lüsewitz (S.21) erwähnt, dessen älteste Tochter Jeanette mit einem Herrn von Bülow verheiratet war, der aber bald verstarb. Nach Rückkehr ins Vaterhaus lernte Jeanette den jungen Studenten Gabillon kennen, Sohn eines französischen Tanzlehrers in Mecklenburg. „Hochgebildet, geistreich und mit vielen körperlichen Vorzügen ausgestattet, hatte er bald das Herz der jungen Witwe erobert, die in ihrer ersten Ehe kein besonderes Glück gefunden hatte.“ (S22). Im Chor des Güstrower Gesangvereins unter Leitung des Steuersekretärs Gabillon durfte Fritz bereits 13-14-jährig mitsingen und vielfältige Instrumente kennenlernen.
Dem Wunsch des Sohnes und seines Fürsprechers nachgebend, reiste der Vater am 13.2.1828 mit Fritz nach Paris, wo Fritz bei einem französischen Major, der mit einer Frau aus Mecklenburg, die bereits verstorben war, verheiratet gewesen war, in Pension wohnte. Harmonielehre bei Anton Reicha (besser erläutert hier engl. Reicha), bei dem bereits 1820 Hector Berlioz Schüler war, hatte Fritz nachhaltig beeinflusst. Tief beeindruckt war er von dem Glanz und Glamour der Pariser Oper mit dem Ballett „La belle au bois dormante“ und Rossini’s Oper Wilhelm Tell.
Am 26.3.1830, 2 Tage nachdem Fritz die Selbsttötung seines Wohnungsgebers erlebt hatte, wurde dieser auf dem Friedhof Père Lachaise beigesetzt. Fritz überzeugte seine Eltern mit Hilfe von Gabillon, dass er selbständig mit gerade 18 Jahren eine Mansardenstube in der Rue St. Jacques beziehen durfte und seinen Unterricht fortsetzten konnte. Die am 27.7.1830 ausgebrochene Revolution schilderte Fritz anschaulich in seinen Aufzeichnungen. „Einige Tage nach dem Schlusstableau der Julirevolution“ (S.44) erhielt Fritz ein Schreiben von seinem Vater, zurück nach Güstrow zu kommen.
Wichtig zu erwähnen als Wegbegleiter sind Eugène Aubry (Bürgermeister von Argenteuil, die Stadt der Impressionisten) und Freund von Fritz der bereits 1871 verstarb, (Rue Rocher Nr. 9 Hotel Aubry (S.62) sowie Jaques Offenbach, der 7 Jahre jünger als Fritz ursprünglich in Köln geboren Jakob Eberscht hieß (Quelle Richard Fleischer, Deutsche Revue Heft 1 Januar 1883). Die Witwe von Fritz beschreibt die Einführung von Jacques Offenbach auch mit Unterstützung von Fritz zu Beginn in die Pariser Salons recht ausführlich (S. 67-72). Letztmalig treffen die beiden sich 1878 in Paris bevor Jacques am 5.10.1880 starb. Geradezu erheiternd ist die Passage (S. 84-86) bei der Fritz, sichtlich beeindruckt, von dem Erscheinen von Madame Georges Sand berichtet, die sich in der Pause eine Männerzigarre anzünden ließ. Anschließend gab es eine Improvisation von Chopin, die derselbe einleitete „er könne seine Begeisterung nur aus den Augen der berühmten Schriftstellerin schöpfen, man möge sie bitten, sich ihm gegenüber zu setzen. Georges Sand gewährte seine Bitte und nahm Platz am Ende des Flügels, warf einen langen Blick auf den musikalischen Improvisator und dieser, denselben erwidernd, begann“ (S.85). Nach vielen misslungenen Versuchen eine Oper in der großen Oper in Paris aufzuführen, ist es ihm zumindest 1843 geglückt, das Ballett „Lady Harriette ou la servante de Greenwich“ aufführen zu können. Aus diesem Stück wurde später das Libretto zu seiner Oper Martha 1947 in Wien erstellt und aufgeführt. Die prima ballerina dieser Aufführung, Adèle Dumilâtre, hatte indirekten Anteil daran, dass es überhaupt zu diesem recht kurzfristigen Engagement kam. In den folgenden Jahren bestimmten die Aufführungen der “Martha” den Erfolg des Komponisten. Ausgehend von der Auftragsarbeit für Wien kam dieses Werk aber auch 1858 nach Paris auf die Bühne im „italienischen Theater“. Nach Übernahme des elterlichen Gutsbesitzes hat Fritz 1849 geheiratet, doch bei der Geburt des Sohnes verstarb die junge Elise von Zadow am 1.8.1851. Eine 2. Heirat mit Anna Theen wurde anfangs 1855 beschlossen. Zwei Söhne sind aus dieser Ehe erwachsen. Als Leiter des Hoftheaters in Schwerin hatte er sich durch seine Kenntnis von Proben und Organisation der führenden Häuser in Europa empfohlen. Als Intendant neben einem technischen Leiter wurde ihm zunächst befristet auf ein Jahr mit Aussicht auf spätere Daueranstellung die Intendanz angetragen. 1868 heiratete Fritz zum dritten Mal und wohnte in Kirschwang bei Reichenau bei seiner Frau Rosine Swoboda. Zusammen mit Mosenthal war Fritz Verfechter und dann zeitweise Vorsitzender der Deutschen Genossenschaft dramatischer Autoren und Komponisten, die später in Leipzig gegründet wurde und damals bereits Autorenrechte verteidigte.
Seine letzten Jahre ab 1880 lebte Fritz auf dem Gut Heiligenkreuzberg in Darmstadt am Eingang des großherzoglichen Wildparks Kranischstein. Dies gehörte seiner Schwester Bernhardine. Zu seinem 70. Geburtstag und der 500.-ten Vorstellung der „Martha“ bekam er eine Einladung von der Generalintendanz des kaiserlichen Hofopernhauses. Seine letzten Tage bis zu wiederholten Schlaganfällen verbrachte er in Darmstadt, wo er am 24.1.1883 mit 70 Jahren verstarb. Sein Lebensschicksal war es wohl, 3 Wochen vor Richard Wagner zu sterben. Der Tod und ständige unterschwellige Vergleich mit dem schaffensgewaltigen Exzentriker Richard Wagner hat Friedrich von Flotow bis heute um viel Aufmerksamkeit gebracht. Es bleiben noch einige Entdeckungen diesbezüglich zu machen.

Wagner Kontrovers

Selbst im 21.-ten Jahrhundert lesen wir weiter von Kontroversen um Richard Wagner (z.B Molnar und Molnar 2022 S.161-186). Dazu hat auch das DHM beigetragen mit einer Ausstellung, die interessante Assessoires aus dem Leben Wagners kürzlich in die Vitrinen stellte (s.u.). Neben Dokumenten zu seinem hartnäckigen Antisemitismus, bereicherten die extravaganten Kleidungsstücke, Maßanfertigungen, Beispieldrucke zu seinen politischen Überzeugungen und Dokumente zur kontinuierlichen Geldnot, die Sichtweise auf das musikalische Schaffen des Komponisten. Verliebtheit in kostspielige Details bei gleichzeitigen Überredungskünsten bei Stiftenden und Gönnern, haben sein überragendes Lebenswerk erst möglich gemacht. Die Zusammenschau von Leben der Person und seinem Werk konnte zeitgleich zur Ausstellung über Karl Marx in Nachbarräumen des DHM in 2022 besucht werden. Die überraschende, aber gelungene, Parallele oder Klammer für beide Ausstellungen ist die von beiden auf völlig unterschiedliche Weise betriebene Kapitalismuskritik, wie ein Begleittext und in Führungen durch die Ausstellungen berichtet wurde. Müssen wir zur Freistellung des Schaffens von Wagner dem Vorschlag Adornos folgen, die Musik des Komponisten frei zu machen von seinem Antisemitismus und der späteren Vereinnahmung durch die Nazis? Es fällt mir äußerst schwer, diese Trennung vorzunehmen. Es ist jedoch Wagners eigenen Schriften zu schulden, dass er einen Absolutismus predigte und darauf hinarbeitete. Das Werk „Muette de Portici“ von Auber, welchem er sogar die Revolution in Belgien zuschrieb (Colas 2012 S.26) hatte ihn schwer beeindruckt. In einem Aufsatz „Über deutsches Musikwesen 1840 S.165, schreibt Wagner, zitiert nach Colas, „La Muette entspricht einem Nationalwerke, wie jede Nation höchstens nur eines auszuweisen hat“. Die kurze Zeit Wagners in Paris ab 1839-1842 hat ihn mehr beeinflusst als er zugeben mochte, vielleicht durch Ablehnung in Frankreich sogar in eine dialektische Entwicklungsrichtung hineinbewegt. Die libertäre und kritische Einstellung Wagners zu politischen und wirtschaftlichen Zuständen seiner Zeit, bei gleichzeitigem Ausleben eines extravaganten Lebensstils, lässt den Tonkünstler in zwiespältigem Licht erscheinen. Dieses Facettenreichtum der Persönlichkeit und des Werks kam in der Ausstellung im DHM gut zur Geltung. Ambivalenz aushalten, lehrte diese Ausstellung. Anregen zu weiterer Befassung mit Person, Werk und Wirkung ist die Folge. Bei mir hat das gewirkt. Die in dieser Zeit sich vertiefenden “Mythen der Nationen” (Flacke M. DHM 1998) in europäischen Ländern, spiegeln den Wettstreit der Komponisten um nationale und überregionale Geltung wider. Ein anderer Komponist dieser Zeit, der als Vermittler zwischen den Kulturen wirken wollte, ist dabei etwas in Vergessenheit geraten, sowie viele andere KomponistInnen dieser Zeit, die sich an dem anzettelten deutsch-französischen Kulturkampf nicht beteiligen wollten. Der Tod von Wagner am 13.2.1883 ist 3 Wochen nach Friedrich von Flotow, 1 Monat vor Karl Marx. In dem Jahr veröffentlicht Nietzsche “Also sprach Zarathustra 1.Band”. Bewegte Zeiten.

Kapitalismus Kritik

Das Deutsche Historische Museum in Berlin (DHM) zeigte vom 10.2 bis 21.8.22 die Ausstellung “Karl Marx und der Kapitalismus“. Die Verbindung von Leben, Werk und Wirkung des in Trier geborenen Sozialwissenschaftlers Karl Marx st eindrucksvoll. In einer knapp gehaltenen Dokumenten- und Exponatensammlung wird die Bedeutung von Marx für die Weltgeschichte durch seine Kapitalismuskritik deutlich. Viele schreckliche Taten wurden in seinem Namen ausgeübt. Dabei geht oft die wissenschaftliche Analyse, die von ihm betrieben wurde unter. Gerade in seinem Verständnis von wirtschaftlichen Krisen hat er Beiträge geleistet, die uns in der Bankenkrise 2007 nochmals klar geworden sind. Weiterhin sind die Arbeiten zur Ungleichheit zwischen Kapitaleignern und Beschäftigten eine grundlegende Herangehensweise geblieben, die von SozialwissenschaftlerInnen auch im 21.-ten Jahrhundert, beispielsweise von Piketty fortgesetzt und mit aktuellen Daten nahezu weltweit untermauert werden. Die Folgen der industriellen Revolution, die er damals erforschte, befasst uns heute wieder in anderer Form zum Beispiel mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf Beschäftigung und Lohngefüge. Selbst den von ihm geprägten Begriff der Ausbeutung, verwenden wir weniger auf Beschäftigung, als auf die Ausbeutung der Natur oder unserer Umwelt zugunsten von einseitiger Kapitalvermehrung. Kurz gesagt: Karl hat keinen Murx gemacht, sondern Methoden und Analysen geliefert, die noch die heutigen Jugendlichen und nächsten Generationen beschäftigen werden. Damit wird das DHM einem Postulat gerecht, das bereits bei der Eröffnung des Historischen Museums Frankfurt von Hilmar Hoffmann formuliert wurde: “Ein demokratisches historisches Museum ist kein Museum, das Kriegschroniken in goldenen Lettern schreibt oder die Mächtigen zu Übermenschen stilisiert. Es informiert vielmehr über die Geschichte des Volkes, über die Sozialgeschichte der Durchschnittsmenschen”. (S.33 in DHM Ideen-Kontroversen-Perspektiven 1988). Zu all diesem hat die Ausstellung “Karl Marx und der Kapitalismus” unzweifelhaft einen guten Beitrag geleistet. Was bleibt? x-tausend BesucherInnen und ein dicker Katalog. Reicht das?  Wirkungsforschung zu Ausstellungen könnte hilfreich sein.

Merkel

Angela Merkel gehört nun endgültig zur Geschichte. Zuerst die Ausstellung von Merkel-Porträts von 1919-2021 der Fotografin Herlinde Koelbl im DHM mit Katalog erschienen bei Taschen, kürzlich das Interview des Spiegelredakteurs und die Quintessenz daraus in LeMonde vom 29.11.22, zusammengenommen eine kleine Bilanz der Amtszeiten.  Die Porträts (1) in Draufsicht 2/3 des Bildes durch das Gesicht ausgefüllt und (2) stehend mit Händen zur Raute geformt, zeigen das Altern durch die Last der Ämter. Ist die Raute anfangs noch mit Druck und weit abgesreizten Fingern zu sehen, wird die Geste im Laufe der Amtszeit lust- und kraftlos. Der Gestaltungswille noch als Umweltministerin hat sich durch Getrieben-sein später abgenutzt. Das Bild 13 der Pressemappe zeigt die Kanzlerin 2020 mit Maske und nur noch 2 Fingern jeder Hand, die sich berühren. Aus der Versuch der Quadratur des Kreises in Amts-, Partei- und Koalitionsgeschäften. Auch das Bild auf S. 243 des Katalogs von 2021 spiegelt eher eine gequälte Kanzerlin statt eine streitbare Verfechterin ihres Amtes wider. In Rückschau erscheint es wohl doch zu lange gewesen sein für den Menschen Merkel. Der Verweis auf das freiwille Ausscheiden aus den Ämtern ist nur die halbe Wahrheit. Im Spiegel Interview (ab Minute 12!) berichtet Frau Merkel von 2 Dingen, die sie sich jetzt vorgenommen hat: mehr bewegen und mehr lesen. Das trifft es auf den Kopf.
Mehr bewegen, eben gerade in der Politik hätten sich Millionen von Deutschen gewünscht, dass sie mehr bewegt auf wichtigen Themen- und Politikfeldern. Überall da zum Beispiel, wo wir nun wissen, wir hinken hinterher: Klimaschutz, digitale und öffentliche Infrastruktur, Verteidigungssysteme, Bekämpfung von Ungleichheit, Steuergerechtigkeit, nachhaltigen Verkehr in Städten und auf dem Land, um nur einige zu nennen.
Mehr lesen, offenbart, das Hören auf Einflüsterer hatte einen hohen Stellenwert, scheinbar mehr, als das Erarbeiten einer eigenen Position durch Aktenstudium. Die Regierungskunst der Kanzlerin bestand hauptsächlich im geschickten Moderieren der unterschiedlichen Positionen innerhalb der Koalitionspartner, insbesondere auch mit der CSU. Im Rückblick heute kommen mir die 16 Regierungsjahre als Zeit der verpassten Chancen vor, aber die Bescheidenheit im Amt hat Deutschland gut gestanden. Das hat Olaf Scholz bei ihr abgeguckt, nur, ihr Nachfolger ist zu beherztem Handeln im Amt gezwungen. Das blieb Angela Merkel weitgehend erspart. Jetzt ist Bewegung gefragt, Aufholbewegung zunächst. Stillstand überwinden, Planungsverfahren verkürzen damit erneuerbare Energien sprießen.

Ukraine Kultur

Einen wahrlich denkwürdigen Abend hat das Festival “Aus den Fugen” im Berliner Konzerthaus ermöglicht. Das “Youth Symphony Orchestra of Ukraine” ist zusammen mit Stars ukrainischer Herkunft am Samstag 26.11.2022 im großen Saal des Konzerthauses aufgetreten. Auf dem Programm stand zu Beginn vom Meister der Kunst der Fuge, J.S. Bach, das Streichquartett, “Verleih uns Frieden gnädiglich”, passend zur Vorweihnachtszeit. Rasch wird aber klar, dass der Überfall auf die Ukraine am 24.2.2022 die Welt für viele aus den Fugen geraten lies. “Die Zeit ist aus den Fugen” deklamierte bereits Hamlet. Erneut bestimmt Krieg und Kriegswirtschaft unsere Handlungen, geschuldet dem russischen Tyrannen, der versucht hat und weiterhin versucht, die ukrainische Kultur auszulöschen. Das Konzert des YSOU setzt weiterhin Zeichen, dass diese reichhaltige Kultur es wert ist, gehört und gesehen zu werden. Die Kompositionen von Mykola Lysenko, Suite über ukrainische Themen op2 oder die Arie der Nastia sind eindrucksvolle Beispiele der frühen Selbständigkeit der ukrainischen Musiktradition. Das Lied “Schtschedryk“, zum Mitsingen, als Abschluss des Konzerts wird lange nachhallen im großen Saal des Konzerthauses und bei dem begeisterten Publikum. Die Präzsion der Dirigentin Nataliia Stets ist beeindruckend und ihr kurzer Hinweis auf den “Holodomor” – den “genuzidalen Hungerstod in der Ukaine um 1932″ zwischen den Stücken, hilfreich für das Verständnis des ukrainischen Aufbäumens heute und das Gedenken an Völkermorde, besonders auch die von Deutschen begangenen. Dank auch an die Solistinnen des Abends, die die Jugend und das Publikum begeisterten.

Stabi Ost

Die Staatsbibliothek zu Berlin hat 2 Standorte: Unter den Linden im Ostteil und Potsdamerstraße im Westteil der Stadt. Inhaltlich muss ich mal hierhin und mal dahin. Das macht nichts, denn es lässt sich so die Architektur und die Kunst am Bau vergleichen, als Begleiterscheinung. Meine Lieblingswerke sind die Leuchten in der Stabi West und die Uhren in der Stabi Ost. Die Architektur des frühen 20.-ten Jahrhunderts im Osten ist eher furchterregend und nicht wirklich einladend finde ich. Damals waren in Deutschland Bibliotheken noch elitären Kreisen vorbehalten, wie in der Bibliothèque nationale de France in Paris hatte die Stabi Ost einen runden Lesesaal, der wurde aber in dem Wiederaufbau nicht erhalten. Die eckige Variante in der Mitte der historischen Außenwände erscheint ungemütlich und in der Tat braucht die ungemütliche, unrühmliche Geschichte Deutschlands ständig solche Erinnerung daran. Neues Licht auf die historische Schatten werfen, durch die transparente Dachkonstruktion, ist in der historischen Sammlung an den Rändern jedem Nutzenden möglich. Das Treppenhaus ist in der offenen Bauweise der Stabi West mit den Leuten (allerdings aus Plastik) einladender. Aber das sollte jeder selbst auf sich wirken lassen. Heute profitieren wir von der Zugänglichkeit bei kostenloser Nutzung der Säle und Bestände in Berlin und der zentralen Erreichbarkeit beider Bibliotheken.

China altert

Zurückgehend auf die frühere strikte 1 Kind Politik erhöht sich der finanzielle Wohlstand der Chinesen alleine dadurch, dass das gleiche BIP auf weniger Köpfe verteilt werden muss. Eine Generation später ergibt sich aber durch das rasche Altern der Bevölkerung eventuell ein hohe finanzielle Last für weniger Beschäftigte bei gleichzeitig mehr älteren Menschen. Die Beschäftigungsquoten der älteren Menschen waren niedrig im Vergleich zu Europa, das bedeutet ein gestresstes System zur Finanzierung der Renten und, wie eine neue Studie (Lancet Public Health 2022) zeigt, für die Pflege der Älteren. Bis 2030 werden laut der Studie bis zu 14 Millionen Menschen zusätzlich Pflege benötigen. Das betrifft überwiegend Frauen und Personen im ländlichen Raum. Das ist bei uns auch so, denn Zugang zu ärztlicher Hilfe, Krankenhäusern und Unterstützung im täglichen Leben ist aufwendiger bei größeren Entfernungen und Fachkräftemangel. Das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit hängt stark von dem gesunden Altern ab. Dies ist wiederum vielfach bedingt durch Bildungsniveaus und Lernfähigkeit und -wille im Alter bezüglich der eigenen Gesundheit.  Bewegung ist der Schlüssel zu mehr Gesundheit. Damit lässt sich die Pflegebedürftigkeit lang hinauszögern. Also raus, auch wenn es frisch ist. Open access Lancet paper (hier)

Hommage Ukraine

Viele westliche Demokratien waren überrascht über den aufopfernden Freiheitswillen der Menschen in der Ukraine. Die „Sonntagsdemokraten“ unserer westlichen Staaten bewegen sich alle 4 Jahre zu 2/3 an die Wahlurne und glauben, wir haben genug getan für die Demokratie. Wahlen sind eine wichtige demokratische Basisentscheidung, egal ob es sich um repräsentative oder direkte Wahlen von Personen handelt. Aber demokratische Systeme leben von dem immer wieder Einstehen für diese Werte der Wahlfreiheit und der unveräußerlichen Menschenrechte. Dazu ist es für alle Demokraten wichtig zu verstehen, wie diese Antriebsfeder des ukrainischen Widerstands gegen eine übermächtig erscheinende Militärdiktatur Russland funktioniert. Anfänglich war es nicht die militärische Hardware, die entscheidend bei der Verteidigung war, sondern ja was? Kulturelle Werte, Geschichtsbewusstsein, Selbstbestimmungsrecht, Völkerrecht, Menschenrecht? Dazu ist im Verlag Stock (F) und Knigolove (Ukr) das Buch „Hommage à l’Ukraine“ erschienen. Emmanuel Ruben schreibt darin im Vorwort: „Dank an die Autoren, uns diese Erzählungen zu übermitteln, die heute in höchstem Maß, die Idee eines starken und geeinten Europas symbolisieren“ (S.18). Das einleitende Zitat von Boris Khersonsky « Les enfants, ceci est une lecon de géographie. Voici la carte. On s’en souviendra » (S.11 und 145) hat mich elektrisiert. Seit Tagen verfolgte ich die Verteidigung und Rückgewinnung der Stadt Kherson in der gleichnamigen Region Kherson in der Ukraine von den russischen Besatzungstruppen. Clausewitz hatte diese präzise geografische und topografische Kenntnis bereits als oft kriegsentscheidend in konventionellen Kriegen betont. Jenseits dieser Militärstrategie ist es wichtig zu verstehen, wie tief diese Ortskundigkeit gehen kann. Der erste Beitrag von Luba Yakymtchouk mit dem Titel „Maison Mon Amour“ spricht von Heimat und erzwungener Veränderung. Es reicht meist, die Augen zu schließen, schon erscheint ein Stück Heimat. Aber dieses Gefühl ergibt sich auch im Denken an Personen und Objekte, die diese vertraute Umgebung inkarnieren. Es sind wir, die diese Verbindungen kappen oder an neue Orte mitnehmen. „Avec le temps, les bons souvenirs feront oublier les mauvais. Et nous construirons avec tout cela une nouvelle et véritable maison. Oui, une maison peut se réduire à la surface de ton corps, des paupières peuvent suffire à la protéger du danger, mais elle peut aussi résider dans les personnes que nous aimons, … (S.39). Boris Khersonsky ist mit den Gedichten « Déflagration 1 und 2 » in dem Band vertreten. Aus der Lektion in Geografie wird eine Geschichtslektion, sogar eine Handlungsanweisung zum würdevollen Überleben. „Tout quitter demande à préparer son plan. Et de la lâcheté. C’est ce qui me manque tant !“ (S. 158 Übersetzt von mir:) Alles verlassen, verlangt, seinen Plan vorzubereiten. Und Feigheit. Das ist es, was mir so fehlt! – So erklärt Boris Khersonsky für mich den unbeugsamen Willen, die Stadt Kherson für die Ukraine zurückerobern zu wollen.

The world according to Putin

Das Centennial Issue von Foreign Affairs (Vol.101, Nr.5) trägt die Überschrift „The Age of Uncertainty”. In der Tat müssen wir mit einigen scheinbaren Gewissheiten aufräumen. Da ist einerseits die Gewissheit der große Staat im Osten hegt friedliche Absichten, andererseits ist das Verlassen auf Beistand ohne feste Bündnispartner geopolitisch naiv. Das hätten wir eigentlich seit den Schriften von Clausewitz theoretisch und mittels historischer empirischer Evidenz aus den beiden Weltkriegen wissen müssen. Unser Geldbeutel, sprich billige Energie, sowie eine durch wirtschaftliche Interessen geleitete Doktrin „Wandel durch Handel“, oder wie die Bremer Handelskammer seit der Hanse sagt „buten und binnen, wagen und winnen“ hat uns geblendet. Der Handel hat dem Westen ermöglicht, auf hochwertige, innovative, technologisch anspruchsvolle Produkte zu setzen und auch Russland in die „Rohstofffalle“ zu befördern. Einfaches Geld verdienen ohne viel Aufwand war die Devise, da durch Handel höherwertige Produkte eingekauft werden können. Gesellschaftlichen Wandel wollten die Russen sich ersparen. Mal sehen, ob diese Strategie weiterhin aufgehen wird. Der Beitrag „The world Putin wants“ (S.108-122) von Fiona Hill und Angela Stent ist dabei eher skeptisch und sieht den Angriffskrieg gegen die Ukraine als (letzten) Versuch, das Russische Imperium wiederherzustellen und zwar das der Zaren, bevor die Bolsheviken die Ukraine als eigenen Staat (Ukrainische Sozialistische Republik) etablierten (S.111). The Russian limited logic is as follows: If you are not Russian you must be a Nazi, if Ukrainians say they are not Russian, therefore they are Nazis. Dabei ist der rhetorische Kniff ganz einfach: Um von eigenen nationalistischen und völkischen Ambitionen abzulenken, müssen andere Staaten wegen Nationalismus/Imperialismus angeklagt werden (Beitrag von Timothy Snyder S.124-141). Eine einfach zu durchschauende Strategie, aber immer noch fallen viele Länder innerhalb der UN darauf rein. „The world according to Garp“ von John Irving könnten wir wieder lesen, oder ansehen, als Lehrstück über Toleranz und Intoleranz, sozusagen als Gegenmittel.

Open access

Foreign Affairs = Auswärtige Angelegenheiten ist der Name einer hervorragenden politikwissenschaftlichen Zeitschrift, die Einordnungen und Analysen sowie Ausblicke auf internationale Politik open-access publiziert. War früher ziemlich teuer und ich suchte eigentlich seit meiner Jugend Bibliotheken auf, die diese und andere Wissensquellen zur Verfügung stellten. Die pay-wall zu relevantem Wissen fällt mehr und mehr. Das ist wichtig, da das meist öffentlich kofinanzierte Wissen nicht zu privatisierten Gewinnen führen sollte. Der rasche und kostengünstige Wissensaustausch und dessen Erweiterung ist ein fundamentales demokratisches Grundrecht. Dazu gehört dann wohl auch der Zugang über öffentliche Einrichtungen wie Bibliotheken oder andere Orte mit freiem Zugang zum Internet für das Abrufen der Informationen. Gerne auch als pod- oder videocast, damit Lesen nicht als einzige Aufnahmemöglichkeit der Information bleibt. Ob Webseiten, youtube shorts oder tiktok, twitter, mastodon, sorgen weiter für die breiteren Formen der möglichen demokratischen Teilhabe. Es werden täglich mehr Sender auf die gleiche Anzahl von Empfängern losgelassen. Neben viel mehr von dem Gleichen, gibt es eine reale Möglichkeit, auch die inhaltliche Vielfalt der Meinungen zu erhöhen. Das ist demokratische Chance und „fake-news-Gefahr“ zugleich. Auch Wissenschaft und öffentlich-rechtliche Medien sind dadurch herausgefordert. Ignorieren der technischen Möglichkeiten für die Massen geht nicht mehr lange gut. Das Rüberschieben von viel  steuerfinanzierten Geldern in diese beiden Sektoren kommt in unruhiges Fahrwasser. Frankreich hat seinen „Rundfunkbeitrag“ bereits aufgekündigt. England streicht heftig bei der BBC. Mit mehr „open access“ werden die Intermediäre wie Rundfunk und synthetisierende Wissenschaft in breitere Hände übergehen. Daraus ergibt sich das zukünftige „Skillset“ und Kompetenzen der nachfolgenden Generationen. Nicht mehr einpauken, sondern kritisches Reflektieren und Abklopfen von Informationen auf Zuverlässigkeit und Wahrheitsgehalt, Trennen von Meinungsmache und Information, Stimmungsmache und Volksverhetzung, Fakten und Urteil, das sind die fundamentalen Kompetenzen auf denen unsere Demokratien aufbauen. Bildung ist das falsche Wort dafür, es braucht kontinuierliches Lernen, damit „open access“ fruchtbar und nicht furchtbar wird. open access BnF Richelieu

Kunst am Bau

In der Ausstellung „Kunst am Bau“, anzusehen als Abschluss der Ausstellungsserie in der Staatsbibliothek in Berlin, Potsdamer Straße bis Januar 2023, lässt sich trefflich über Kunst streiten. Es ist gleichzeitig ein gelungenes Experiment die offene Diskussion über Kunst, hier Kunst am Bau, zu befördern. Natürlich ist sowohl die Kunst am Bau an sich, als auch den Ausstellungsmachenden vornehmlich an Selbstinszenierung gelegen, jut sichtbar in den kurzen Präsentationsvideos der Ausstellung. Selten ist der dialektische Dialog, also eine Selbstinszenierung mit Bescheidenheit oder kritischer Selbstreflektion verbunden. Obwohl gerade Kunst dafür eine der Moderne angepasste Denkweise widerspiegeln könnte, ist die Kunst am Bau meistens erst im Nachgang der Umsetzung der Architektenpläne, Wettbewerbe und Realisierungen beauftragt mit wenigen Ausnahmen. Wichtig ist bei aller Kritik das „Zur-Diskussion-Stellen“ der Kunst, wie es die Ausstellungsserie versucht. Wissensforschende fragen dabei nach einer seriösen Evaluation solcher öffentlichen Aktivitäten eines selbstinszenierenden Wanderzirkuses. Die digitale Version „Museum der 1000 Orte“ beeindruckt mehr. Dort können für jeden sichtbar die Kunstschätze in Bundesbauten besichtigt werden (2D only). Mich hat Daniel Buren im BMAS fasziniert (la grande fenêtre 2001). Die Strahlkraft noch mehr seit der „Zeitenwende 2022 “ zur Geltung. Mit knapp unter 100.000 € ist ein fairer Preis damals dafür gezahlt worden, heute wohl schon deutlich mehr wert. Meine Spontanevaluation, basierend auf der Bedeutung den Geflüchteten aus der Ukraine rasch Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen zu wollen, die im BMAS erarbeitet wurde, könnten wir vielleicht diesem täglichen Anblick im Ministerium verdanken. Schöne Spekulation über die möglichen Anstöße von Kunst.

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In unseren hektischen Zeiten, kommt so ein Aufruf immer passend. Statt Reisen kann ja auch online erkundet werden. Alles bildet, heute multimedial versteht sich. Dennoch lässt es sich wunderbar statt im stillen, heute kalten, Kämmerlein in öffentlichen Bibliotheken stöbern oder recherchieren. Die Bibliothèque nationale de France hat dazu eine alte gute Stube renoviert und richtig herausgeputzt. Die Kathedralen der Moderne in Stockholm, Brüssel mal flämisch, mal frankophon setzen auch bereits auf Zugänglichkeit für alle. Das Konzept war bereits in Paris in den aufgestellten Büchern, der Bibliothekstürme der BnF präsent. Begehbare Bücher samt Garten, Ausstellungen und Treffpunkten ziehen viele Besuchenden an. Mit dem historischen Standort Richelieu im Zentrum von Paris nahe Chatelet ist eine neue Dimension entstanden. Ob es gelingen wird, Touristen zu Lesenden und zu Lernenden weiter zu entwickeln, bleibt eine wichtige Frage für das Überleben unserer Kulturen und Demokratien. Neben der zur Schaustellung von Büchern gibt es auch Zugang zu neuen Medien und ein Set für virtuelle Realitäten zu Ausstellungen moderner Künstler seit dem Impressionismus. Die Verknüpfung von Kunst-, Geistes- und Architekturgeschichte mit aktuellem Design (neue Designerstühle) ist gelungen, Probesitzen eingeschlossen. So erschließen sich neue Traumwelten und harte Realitäten in einem Zug.

Sparen na klar

Die Apelle zum Sparen von Gas wirken. Das zeigt die Statistik der Bundesnetzagentur. Der Verbrauch im außergewöhnlich kühlen September war noch auf der Durschnittslinie der Verbräuche vorheriger Jahre, aber der sehr warme Oktober (LeMonde 29.10.22 berichtet bereits von 6° über dem Mittel in Frankreich) hat uns zu einer deutlich geringeren Verbrauchszahl für Gas für Haushalte und Unternehmen kommen lassen. Entsprechend purzeln die Gaspreise (TTF in Amsterdam). Mal sehen, ob das bei den Verbrauchenden auch ankommen wird. “Sparen, kann ich”. Das könnte das Motto des Winters werden. Manche Verhaltensänderungen reagieren nicht nur auf Preissignale, wie der Mainstreamökonom uns gerne glauben lässt, sondern eben auch auf Apelle. Okay, ich bekenne mich dazu. Bei mir ist der Waschlappen und warme Pullover auch wieder aus den tiefen des Kleiderschranks hervorgekommen. Sparen für die Freiheit ist doch ein edles Ziel. Mal sehen wie lange wir alle das Durchhalten werden. Zur Motivtion lässt sich der Gasverbrauch in D bei der Bundesnetzagentur aktualisieren. Der deutsche Wetterdienst sammelt die Daten für Durchschnittstemperaturen. Der Oktober war ca 3° wärmer als längerfristige Durchschnitt.

Quelle Bundesnetzagentur zuletzt abgefragt 14.11.22

Fukushima

Ein Bericht über die Explosionen von 2 Blöcken des Kernkraftwerks Fukushima lassen uns Menschen ziemlich dumm aussehen. Wir glauben, alle möglichen katastrophalen Ereignisse vorhersehen zu können und werden doch wieder des besseren belehrt. In der Buchserie der Presses Universitaires de France (PUF) erschien in 2022 “Un récit de Fukushima” in dem der Direktor des Atomkraftwerkes vor der Untersuchungskommission berichtet, wie genau die verschiedenen Ereignisse Erdbeben und Tsunami mit der Verkettung von offensichtlichen menschlichen Fehlentscheidungen einhergingen. Planungsfehler, wie zu tief liegende Notstromaggregate, da rasch überflutet, sowie Kosteneinsparungen bei Vorsorge gegen als unrealistisch eingestufte Risiken (so starkes Erdbeben, Tsunami) haben die Katastrophe ermöglicht. Nach Tschernobyl haben wir nun Saporischschja fürchten gelernt. Das Atomkraftwerk Mykolajiw steht wohl als nächster Schrecken auf der Liste. Neben Planungsfehler, Kostensparen und menschlichem Versagen kommt nun die Gefahr von Nuklearkatastropen auf die Liste des Kriegsarsenals. Nicht als Bombe, wie wir bisher annahmen, sondern als nicht schützbare Infrastruktur, die kaum zu verstecken ist. Der nächste Tabubruch ist realistischer geworden. Die Kosten für Abwehrraketensysteme neben jedem Atomkraftwerk wohl etwas teuer und eventuell ineffizient. Wer befasst sich mit derartigen verbotenen Gedanken? Die Schrecken des 21.-ten Jahrhundert könnten sich als noch schlimmer gestalten als wir zu denken wagten. Atomkraft: die Geister, die ich rief, ich werd’ sie nicht mehr los.
Also eine dezentrale Energieversorgung durch Wind und Solar mit 100.000-den von kleinen Anlagen, in Gärten und auf Dächern erscheint als realisierbarer Lösungsansatz. Warum sagt das kaum eine/r? “Everyday for future” its easy. Mehr grüne Energie für Frieden = Greenpeace mal anders.

Ident

Wir alle kennen mittlerweile das Ident-Verfahren. Meistens begegnet es uns bei Eröffnung von Konten durch ein Post-Ident-Verfahren am Postschalter oder durch ein Video-Ident = Identifizierung per Video oder Uploads von Fotos des Personalausweises bei irgendwelchen Portalen. Praktisch ist die gemeinsame internationale Sprachwurzel Ident-ität, -ité , -ity in D/F/E. Unsere emails funktionieren mit einem eigenen, vergleichbaren Ident-Verfahren. Die meisten Menschen hinterfragen nicht weiter ihre Identität bis sie von anderen oder von außen darauf hingewiesen werden. Bei Reisen jenseits der EU wird staatlich verbriefte Identität, meist mit Nationalität gleichgesetzt, dann zu einem Thema. Regionale Identitäten innerhalb eines Staates sind auch ein leidenschaftliches Thema bei Fragen zur Herkunft.
Der Autor Paul Audi hat in seinem Buch zum Thema “Identité” eine der modernen soziologischen Literatur entsprechende Sichtweise auf Identität vorgestellt. Nicht eine, sondern mehrere Identitäten, eine an sich plurale Identität ergibt sich in der modernen Welt mit verteilten Loci der Identität. Das hat Roger-Pol Droit in seinem Editorial von LeMonde des Livres vom 26.8.2022 treffend zusammengefasst. Sicherlich eine viel und kontrovers diskutierte Anregung in Wahlkämpfen. Vereinfachung auf Pass = Identität greift viel zu kurz. Identitäten schreiben Lebensverläufe sowie umgekehrt aus den Lebensverläufen Identitäten entstehen. Teils gemischte, teils neue Identitäten sind dabei im Werden begriffen. Sie sind selten statisch, meistens eher dynamische Verläufe mit komplexen wechselseitigen Beziehungen. Konstruktion, Dekonstruktion und Rekonstruktion sind das was bleibt. Spannende Biografien eben. Eine Fixierung der Identität auf etwa zufällige Herkunftskonstellationen verkennt die Chance Identität als Ziel selbst zu definieren. Daraus ergibt sich ein erweiterter Freiheitsbegriff. Sich eine neue berufliche Identität zu konstruieren, gehört zur Entwicklung von Jugendlichen und mit lebenslangem Lernen gleichfalls zu Lebensverläufen von vielen Menschen. Warum vor Grenzen halt machen. Bilaterale Identitäten (z.B. D-F) gehören zum Alltag. Eine europäische formiert sich (proposition en francais). 

Was macht die Kunst

Das Leben in Metropolen erlaubt es, an fantastischen Wochenenden teilzunehmen ohne viel CO2-Aufwand. So konnten wir an dem “Brussels Galery Weekendmit längeren Spaziergängen von Galerie zu Galerie schreiten und Inspirationen sammeln. Mit Blick über die Jahre hinweg, zeigt sich viel Kontinuität im Kunstbetrieb trotz Corona-Unterbrechung. Das Home-Office-Syndrom ist erklärter Einfluss in den Arbeiten von “Michael Cline” (Nino Mier Galery Brussels) mit Hinwendung zu introvertierter in matten Farben erscheinenden Pflanzenansichten. Philosophisch angelehnt an den späten Voltaire, der sich nach bewegtem Leben und Schreiben, vorwiegend seinem Garten und Pflanzen gewidmet hat.
Politisch anregender und streitbarer geht es da schon die letzten 30 Jahre (!) bei den kollaborativen Künstlern “Lucy + Jorge Orta” zu. Seit Ausstellungen zur COP21 im Grand Palais in Paris und vielen anderen gibt es eine Zusammenschau nun in Brüssel bis 12.11.22 im “Patinoire Royale” bei der Galerie Valérie Bach (engl) zu sehen.
Also, was macht die Kunst? Sie lebt nach der Krise, wie vor der Krise und in der Krise und hyperventiliert. Aber, wer schaut noch hin und lässt sich anrühren. Längst erschlägt uns die Bilderflut des täglichen Medienrummels. Dabei haben wir die Hoheit über unsere Augen und Ohren. Auffallend ist die Inszenierung der meisten Galerien als Ruheräume, oft etwas abseits der Hauptstraßen und mit Hinterhöfen oder -gärten. Auch diese Kathedralen der Moderne generieren Kraft aus Stille gepaart mit Anregung.

Hitze

Hitze zu Land und zu Wasser wird uns jährlich größere Sorgen bereiten (The Lancet Studien). Gegen Kälte wissen wir seit Generationen uns gut zu schützen. Hitzestress ist die neue Herausforderung. Stadt, Land und Gewässer darauf besser vorzubereiten sollte uns intensiv beschäftigen. Prävention ist gefragt, damit wir nicht erst durch eine später dokumentierte Übersterblichkeit für die Hitzemonate aufwachen, wenn es mal wieder zu spät ist. Isolierung, Reflektion, Verdunkelung sind gefragt auch wenn lichtdurchflutete Räume und Dachgeschosswohnungen doch so angenehm sind. Sommertauglich sind die meisten Dächer erst mit starken stromfressenden Klimaanlagen. Kältespeicher durch Grünanlagen und Wald- und Wassergebiete erleichtern Hitzestress in benachbarten Wohngebieten. Weniger Bodenversiegelung wird helfen, auch der Rückbau von zugeteerten Flächen (Parkplätzen) wird Erleichterung bringen. Viel Um- bzw. Vordenken ist gefragt, Zeit damit anzufangen und an die Umsetzung zu gehen auch.

Lange Schatten

Bestimmte Ereignisse im Leben von Menschen werfen lange Schatten. Das ist ein viel beforschtes Thema (z.B. critical life events research). Einen frischen Blickwinkel aus autobiografischer Perspektive ergänzt Andreas Fischer mit seiner autobiografischen Erzählung “Die Königin von Troisdorf“. Er steht buchstäblich im langen Schatten seiner Großeltern, Eltern, Tanten und Onkeln. Mit viel Details widmet sich der Autor den Nachwirkungen von Kriegserfahrungen seiner Familie, hauptsächlich denen des 2. Weltkriegs auf die Psyche. Das Schweigen zu den oft traumatisierenden Kriegserfahrungen schafft neuerliche Barrieren, die in die Gegenwart fortwirken. Verbindugen zwischen den Generationen lassen sich erzählerisch gut darstellen, insbesondere das Sich-ineinander-verschränkende der Beziehungen und Erfahrungen. Dabei gibt es Kernschatten und Halbschatten, aber selten klares Licht auf Geschehnisse. Einzig die langen Nachwirkungen werden offensichtlich. Dabei könnte anstelle des Schweigens der Generationen zu den eigenen Erfahrungen und denen der (Groß-)Eltern durch Berichten im Familienzusammenhang vorzüglich als Lernkontext für alle und nachkommende Generationen dienen. Nach den vielfach gescheiterten Aufklärungsversuchen der 68er- Generation, hatte sich eine neuerliche Schweigewelle ausgebreitet, die erneut zu brökeln scheint (vgl. Henri-Nannen, vielfach Straßennamenänderungen). Bis zur Kriegswende 1942 wurden große Pläne geschmiedet (damals schon in Verbindung mit einer Besetzung der Ukraine S. 215-6). Das nachwirkende Trauma besteht wohl neben den vielfach beschriebenen direkten Kriegsverletzungen auch in dem Zerborsten der euphorisierten Zukunftsträume der Kriegsgenerationen aller Altersklassen. Aus Kindheitsträumen wurden offensichtliche Illusionen oder gar tiefsitzende, externalisierte Enttäuschungen. Verdrängte Schuldfragen und Wahrheitsverweigerungen mussten über Jahre aufgearbeitet werden. Die abgekürzte Entnazifizierung hat die Länge der Schatten innerhalb der Gesellschaft und der Familien nur vergrößert. Halbschatten ist eben nur halb im Schatten und schon halb im Licht. Bildquelle: http://didaktik.physik.hu-berlin.de/material/forschung/optik/anfangsoptik/schatten.htm

Spitzel

Warum der Tagesspiegel bei meinem früheren alteingesessenen Zeitungshändler “Spitzel” hieß, ist mir lange nicht klar gewesen. Ein ungutes Gefühl bei den gelegentlichen Käufen ist geblieben. Das Schimpfwort “Springerpresse” war schlimmer und “Lügenpresse” ist eindeutig ein Pressefreiheit misachtendes Statement. Der Unterschied zwischen Meinungen, wie und welche Meinungen in der Presse erscheinen kann verzerrt sein. Im großen und ganzen können wir mit unserer Presselandschaft in der globalen Aufmerksamkeitsökonomie noch zufrieden sein. Das Sinken der Zeitungslesenden um ca. 50% in den letzten 20 Jahren ist zwar recht dramatisch, aber hat vielfältige Gründe. Wenn aus Berichterstattung zunehmend Meinungs- oder Stimmungsmache wird, werden Personen, die Informationen suchen sich an andere Medien halten.
Es ist verständlich, Printmedien brauchen andere Finanzierungsquellen als Abos und Laufkundschaft (Grenze irreführende Werbung). Den “local turn” der Lesenden bei gleichzeitig Qualitätsbewusstsein bei überregionalen Zeitungen, was Auflagen steigen lässt, hat der “Spitzel” vollzogen. Da Überregionalität in Deutschland kaum mehr zu erreichen ist, begibt sich der “Tagesspiegel” auf die “Spitzel”-Variante. Mit 12! lokalen Teilen allein in Berlin gibt es fast für jeden Bezirk einen Spitzel. Diese Person berichtet meistens Trivialitäten aus dem Bezirk, erreicht aber wahrscheinlich, wegen dem alternativen Bezahlmodell (à la Google, Facebook etc. mit gezielterer Werbung + viel Eigenwerbung) und nur scheinbar kostenlos, eine breitere interessierte Öffentlichkeit. Gezielte high impact Werbung wird so ermöglicht.
Was heisst das konkret? Naja, auf einen Artikel zu Milieuschutz und Gentrifizierung folgt dann eben eine gezielte Werbung, die als Info getarnt daherkommt. Die vielen Spitzel vom Spitzel spielen das Spiel kräftig mit, indem sie Gentrifizierung als “Kampfbegriff” versuchen zu diskreditieren, obwohl es in der wissenschaftlichen Literatur z.B. der Stadtsoziologie + Geografie  weltweit ein analytisches Konzept ist (Ursprung).
Der Treppenwitz der Berliner Geschichte ist dabei, dass Fahrstühle, die in Berliner Altbauten eingebaut werden leider für Rollstühle oft zu eng sind und meistens erst auf einer 1/2 Etage starten.  Genau, sie stoppen dann auch wieder eine 1/2 Etage niedriger oder höher, da sie wegen der Treppenhäuserkonstruktion in U-Form eigentlich nur außen angebaut werden können. Wir sollten also die Spitzel mal mit Gehhilfen, Rollator, Rollstuhl oder Kinderwagen solche Aufzüge benutzen lassen, damit eine objektive, nicht von möglicher verdeckter Werbung getriebene Berichterstattung erfolgt. Ich empfehle einen Besuch beim Orthopäden oder Osteopathen, um frühzeitig auf die Gelenke zu achten, mehr aber sollten wir das Körpergewicht (Obesity in EU) im Blick haben. Vorbeugen war schon immer besser als Heilen mit teuren Hilfsgeräten. Das gilt auch für faire mediale Bericherstattung. Noch mehr Spitzel in immer kleineren räumlichen Einheiten braucht wohl keiner, oder? TagesspiegelAuszug aus: Tagesspiegel Leute Tempelhof/Schöneberg vom 14.6.2022. Nur zu, machen sie “was mit Medien” aber richtig, nein auch nicht mehr so wie Henri Nannen. Radiobeitrag dazu. Hier.

Was mit Medien

Wenn wir Jugendliche nach ihren Berufsvorstellungen fragen, antworten viele ich würde gerne was mit Medien machen. Okay, Daddeln als Beruf ist vielleicht nicht schlecht und in der Tat, wir brauchen viele medienbewertende, kontrollierende, kurz medienkritische Menschen. Meistens lautet eine Präzisierung dann, naja was mit sozialen Medien. Aber, was sind denn soziale Medien im Gegensatz zu unsozialen Medien. Mark Zuckerberg hat das „Framing“ für sein Medienimperium gut hinbekommen. Sozial ist daran der ideale Grundgedanke jede/r könne mit jedem nach Kontaktanfrage sich austauschen. Werbung und Mobbing haben bereits die Oberhand genommen und aus den sogenannten sozialen Medien werden vielfach höchst unsoziale Konsequenzen sichtbar. Nicht erst seit den letzten Jahren versuchen die anderen Medien, auch zu sozialen Medien zu werden. Skandale, dass von Unternehmen gekaufte Artikel publiziert werden. Sponsoring von Beiträgen erreicht oft mediale Verbreitung, ist aber eigentlich verdeckte Werbung.
Aber was sind denn unsoziale Medien? Medien, die nur über eine unsozial hohe Paywall erreichbar sind, könnten wir als unsozial bezeichnen. Das träfe dann auf die öffentlich-rechtlichen Medien zunächst genauso zu wie auf privatwirtschaftlich organisierte Medien. Freibeträge oder Gebührenerlass bei den öffentlich-rechtlichen Medien können sozialen Ausgleich schaffen. Anders bei den sogenannten Printmedien, die ja auch immer mehr versuchen, sich zumindest ein wenig den Touch zu geben, auch so etwas zu sein, wie soziale Medien. Nur wenige Zeitungslesende fragen sich noch beim Bäcker: kaufe ich heute eine Zeitung einer verantwortlichen Art, 2€+X oder doch ein Graubrot in dünnen Scheiben?
Wenn sich dann jedoch herausstellt, ein Mitherausgeber, Dr. Josef Joffe von „Die Zeit“, warnt einen Firmenchef vor kritischer Berichterstattung und schreibt bis vor kurzem weiter Kolumnen in einer Regionalzeitung „Der Tagesspiegel“, früher lokal genannt der Spitzel, dann sind die Selbstreinigungseffekte der notwendigen, unabhängigen Presse nicht mehr hinreichend. Die veröffentlichte Meinung weniger Personen darf nicht mit der öffentlichen Meinung der Vielen gleichgesetzt werden.
Bei den Römern hieß es noch „panem et circenses“. Aus gebt ihnen „Brot und Spiele“ ist für viele Lesende schon Brot oder Spiele geworden. Neue soziale Medien brauchen wir und ja Jungs & Mädels macht was mit Medien, vielleicht Mediensoziologie. https://www.die-zeitungen.de/forschung-studien/zeitungswerbung/https://www.die-zeitungen.de/forschung-studien/zeitungswerbung/