Gewaltmonopol

Für Demokratien ist die Frage des Gewaltmonopols eine sehr entscheidende Frage. In gleichem Atemzug muss dabei die demokratische Kontrolle dieses Monopols gewährleistet sein. Verfassungsrecht in Demokratien ist darin eindeutig. Lediglich die Praxis des Rechts gestaltet sich oft schwierig und durchaus wechselhaft. Die Studie von Laila Abdul-Rahman, Hannah Espin Grau, Luise Klaus und Tobias Singelnstein (2023 bei Campus kostenlos downloadbar) greift das wichtige Thema mit einer repräsentativen Studie von 3300 Opfern polizeilicher Gewalt in Deutschland auf (Zusammenfassung). Anders als im amerikanischen Raum fehlt bei uns bisher die Berücksichtigung von Rassismus und räumlicher Verortung in der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Geschehens. Das Interaktionsgeschehen oder Eskalationsstufen (S. 31) bieten einen weiteren Ansatzpunkt zukunftsweisend präventiv tätig zu werden. Die Aussetzung der Strafverfahren gegen Polizeibedienstete wegen Gewaltausübung (Körperverletzung) ist mit 93% aller Fälle außerordentlich hoch. Das Kapitel 8 (S. 307ff.) über die strafjustizielle Aufarbeitung offenbart die Randbedingungen der justiziellen Verfahrensweisen.
Das Gewaltmonopol darf nicht in Frage gestellt werden, aber sobald Gewalt des Monopolisten unverhältnismäßig und rechtsstaatlich ungenügend kontrolliert wird, kommt eine politische Gewaltenteilung langsam ins Wanken. Die wehrhafte Demokratie braucht Polizeigewalt, um beispielsweise das Demonstrationsrecht durchzusetzen oder öffentliche Veranstaltungen zu sichern. Aber die Exzesse polizeilicher Gewalt müssen geahndet werden. Solche Anklagen finden wir in England anlässlich der Krönungsfeier, in Frankreich bei Streiks oder Fußballspielen oder in Belgien bei Gipfeltreffen oder Räumungen von Flüchtlingslagern. Das ist keine Randnotiz. Friedlicher Protest ist wesentlicher Bestandteil von Demokratien. Einschüchterung durch Gewaltanwendung ist Teil der dunkelsten Kapitel und muss entschieden unterbunden werden im Friedensprojekt Europa.

Mensch

Der vermessene Mensch ist im Kino angelaufen. Die deutsche Kolonialmacht im südlichen Afrika weilte nur kurz, aber überaus grausam. Das ist mit aller Härte im Film von Lars Kraume dargestellt. Zu viele explizite Gewalttaten im Film erlauben nur eine Zulassung ab 14 Jahren. Das sollte ernst genommen werden. Die Kolonialgeschichten der Imperialmächte sind alle mit abscheulichen Verstößen gegen Menschenrechte verlaufen. Da darf nichts beschönigt werden. Der Film bietet daher eine gnadenlose Abrechnung mit den Verbrechen der damaligen Zeit. Und das ist gut so.
Die Wissenschaft und viele der Wissenschaftler haben sich in den Dienst der Machthaber einspannen lassen und nicht nur die Wissenschaft, sondern auch sich selbst verraten. Karriere, gesellschaftliche Stellung und Ansehen winkten den Kollaborateuren. Da wurde viel für die späteren Greueltaten und abscheuliche Praxis der Nationalsozialisten vorgeführt. Wichtig und sehenswert, aber keine leichte Kost mit Safari -Atmosphäre. Die Vermessenheit des Menschen, als seine Selbstüberschätzung gemeint, ist nahezu ein biblisches und religiöses Thema. Das passt in die Fastenzeit und den Ramadan. Dieser ausgesprochen gute Titel bleibt mir jedoch beständig als “Der vergessene Mensch” in Erinnerung. Wir haben lange so getan, als ob wir die Verbrechen mit Vergessenheit abmildern könnten. Verdrängtes kommt jedoch meist mit größerem Bumerangeffekt zurück. Der Mensch und die Angehörigen hinter diesem Mensch, alle Opfer des Verbrechens, werden zu dem vergessenen Mensch. Auch Wissenschaftler vergessen oft den Mensch hinter ihren Theorie und Datengerüsten. Für jede Person, die das Vermessen vergessen hatte, kommt der Bumerang noch heftiger zurück.

Gewalt

Die Betrachtung von Krieg und Kriegsverbrechen im weiteren Kontext als Anwendung von kollektiver Gewalt erlaubt das Einbeziehen eines breiteren Spektrums an sozialwissenschaftlichen Theorien. Auf Putins Nachttisch liegt direkt neben dem Buch von Machiavelli Il Principe, das Buch mit dem Titel Dell’arte della guerra. Ein Satz daraus besagt, lass keine Chance verstreichen, die fast keine Kosten hat (Jakobsen S. 24). Also rein in die Ukraine bevor das Land und Leute zu stark werden. Tor Jakobsen (Hrsg.) hat das in dem Band zu Krieg, Theorien und Forschung gut herausgearbeitet. Die Einleitung listet die Gründe für Krieg. Den Soziologen interessiert besonders die Erwähnung von gesellschaftlichen Strukturen, auf Russland bezogen würde das den Einfluss von Militär auf und Status innerhalb von Gesellschaften einschließen. Besteuerung für die Unabhängigkeit der USA sowie die Bedeutung von grenzüberschreitendem Handel gehören zu diesen Themen. Neben diesen liberalen Thesen für oder zur Vermeidung von Krieg existieren die sogenannten radikalen Argumente, wie Ungleichheit, ausländische Investitionen und Imperialismus, die zu erhöhten Risiken für Krieg führen (S. xii.). Tilly 2003 The politics of collective violence erweist sich als wichtige Lektüre. Kreieren einer Identität zusammen mit political entrepreneurship schaffen gemeinsam Voraussetzungen für kollektive Gewalt. S. 25. Im Konflikt der Ukraine spielen ethnische, sprachliche und kulturelle Ursachen ebenfalls eine Rolle. Auch lässt sich die ökonomische Erklärung von Krieg mit Zugewinn- und Verlustkategorien errechnen für alle beteiligten und sogar scheinbar unbeteiligte Parteien. Kosten-Nutzen-Analyse lässt grüßen mit all ihren Unwägbarkeiten und potenziellen oder faktischen Fehleinschätzungen. Für den derzeitigen Krieg in Europa lässt sich die deprived actor Theorie auf das russische Militär beziehen während die ukrainische Strategie versucht dem rational actor Modell folgt. So stehen sich neben den Heeren auch Theorien gegenüber. Mir gefielen die Sandkastenspiele bei denen nicht wirklich geschossen wurde am besten. Vielleicht ist ja doch noch was in dem Spruch: Putin will wieder Krieg, aber keiner geht mehr hin.

Gewalt Training

Wöchentlich wiederholt sich das traurige Spektakel. Gewalt im Umfeld von Fußball ist kaum mehr wegzudenken. Auf 2 Seiten Sport in der Zeitung heute nur eine kleine Randnotiz kein Artikel, kein Kommentar. Ist ja alles nur Spaß, die wollen doch nur spielen. Weit gefehlt. In Berlin mit noch 2 Bundesligavereinen ist dann jede Woche Heimspiel und die Bahnhöfe werden zu Risikozonen, Straßen im Umfeld der Stadien sowieso. So wird seit Jahrzehnten die Verrohung der Gesellschaft trainiert. Früher nur samstags heute an fast allen Wochentagen. Wollen wir wirklich den totalen Fußball? Total verrückt die Welt, von den Kosten und Schäden, die die Allgemeinheit trägt mal ganz abgesehen (Nachtrag aus Süddeutsche vom 7.3.21 Randale in Mexiko – Gewalt stoppt Mexikos Liga). Viele Vereine sind sogar als gemeinnützige Organisationen bei uns deklariert. Ob das bei den Prämien noch gerechtfertigt ist, interessiert nur wenige Steuerexperten. Früher hieß es, wenn Du richtig reich werden willst, gründe eine Religion, ne kleine Sekte tat es auch. Heute gründen/kaufen wir einen Fußballverein oder Champions- Fußballverband.

Meldung Aus Tagesspiegel 17.2.2022 S.17