Stille

Die Würdigung zum Preis der Stadt Münster für Internationale Poesie 2017 wurde gemeinsam an Jon Fosse und Hinrich Schmidt-Henkel vergeben. In 2023 kennen viele sicherlich den jüngst gekürten Literatur Nobelpreisträger Jon Fosse. Der Preis für Poesie aus Münster hat gleichzeitig den Übersetzer ins Deutsche mit dem Preis bedacht. Personen, die zwei- oder mehrsprachig aufwachsen oder leben, sind mit der Thematik der Übersetzung hinreichend vertraut. Dennoch ist die Übersetzung von Literatur und Poesie eine spannende Herausforderung.
Diese Stille herbeischreiben“ ist der Buchtitel in dem sowohl ausgewählte Beispiele der Poesie von Jon Fosse auf Norwegisch, als auch die Übersetzungen dokumentiert sind. Die einleitenden Beiträge über die Kunst und das Handwerk der Übersetzungen verdienen ebenfalls eine Aufmerksamkeit, da dort die neben Wortschatz, Syntax, Grammatik, Stil auch über den Duktus oder die Haltung des Autors zu seinem Inhalt gesprochen wird. Unmittelbar nach der Begründung der Jury für die Preisverleihung ist das Gedicht „denne uforklarlege stille“, übersetzt mit „diese unerklärliche stille“ abgedruckt (S.70). Dieses Gedicht endet mit den Zeilen:
„Das ist was wir immer wieder erzählen sollen
und was nie erzählt werden kann
Das ist was wir sind und tun“
Jon Fosse ist es gelungen, diese Stille herbeizuschreiben und Hinrich Schmidt-Henkel hat die Herausforderung als ästhetisches Projekt (S.32) gemeistert, sich die Freiheit der Wortwahl zu nehmen und gleichzeitig dem Original treu zu bleiben.
Schon lange bevor es die Übersetzungs-KI gab, war die Kunst der Übersetzung nicht nur das „Was zu schreiben ist,  … und das wie zu schreiben ist“, sondern „auch die Kategorie der Haltung“. (S. 33-34).
Der Begriff der Haltung wir sicher deutlich an dem für Jon Fosse so wichtigen Begriff der Stille. Eine beredte Stille ist zu einer gängigen Redewendung geworden. Wind gehört im norwegischen Kontext zur Stille dazu. Bald wird dröhnt es bei uns wieder in der Vorweihnachtszeit aus den unglaublichsten Ecken „Stille Nacht, …“. Meditation und Stille ist in Religionen ebenfalls allgegenwärtig.
Stille üben fällt schwer. Ein solches Konzept von einer Sprache und Kulturkreis in einen anderen zu übersetzen ist Meisterwerk. Das werden wir noch lange nicht der künstlichen Intelligenz überlassen können. Frage an ChatGPT: „Was ist Stille?“ – … KI: „Stille ist …!” –
Oh just shut up, it was a rhetorical question.