Mitridate

Ah! que vois-je … Welch schöner Ausruf, als Auftakt der letzten Szene im Theaterstück Mitridate von Jean Racine. Das könnte meine neue Begrüßungsformel im täglichen europäischen Umgang werden.  Im Theater als moralischer Schule der Herrschenden und Diplomaten hatten Racine und durch seine Fabeln bekannt Jean de la Fontaine eine enorme Bedeutung. Die Geburtsorte beider in La Férte-Milon und Chateau Thierry liegen recht nahe beieinander für Museums- und Literaturliebhabende, unweit von Paris-Est mit RER erreichbar. Viele mit der jüngsten Geschichte Deutschlands vertraute Personen zucken bei dem Titel der Opera seria von Mozart “Mitridate, re del Ponto” zusammen. Mit dem Namen Ponto ist im kollektiven Gedächtnis Jürgen Ponto verknüpft. Die gleichnamige Stiftung heilt heute noch die Wunden der Vergangenheit. Der König von Ponto ist jedoch Herrscher über ein Königreich, das in der heutigen Türkei lag und die Halbinsel der Krim beinhaltete vor mehr als 2000 Jahren. Nur so viel zu den falschen, historischen und kulturellen Besitzansprüchen Putins heute.
Mozart schuf bereits mit unglaublichen 14 Jahren die Oper Mitridate. Darin sind erstaunlich viele Anklänge und kleine Melodien enthalten, die er in späteren bekannteren Werken wieder variiert aufgreift. Seine erste Auslandsreise zum Studium der Kompositions- und Instrumentationstechnik nach Mailand hatte eine nachhaltige Wirkung. Zusammenarbeit mit den besten Singenden dieser Zeit stellt heute noch Professionelle der Gattung wie Pene Pati vor große Herausforderungen. Eine gewisse Analogie von Pati zu und Potenzial wie Pavarotti ist vielleicht schon erlaubt. Die Barocktage in der Staatsoper Berlin mit den “Musiciens du Louvre” sowie deren Gründundsdirigent Marc Minkowski, selbst ein Mozartexperte, sind wahrhaft glänzend und barock. Die in Goldfarben geschneiderten Kostüme und Bühnenbilder versetzen uns in borocke Bilder und Szenen. Der im Libretto vorgegebe Abschluss: Für die Freiheit, samt Abschlußakkorden, halt im Freiheitskampf der Ukraine gegen russische Besatzung heute noch nach. Bravi!!! Das hat der junge Mozart bereits 20 Jahre vor der französichen Revolution, vielleicht augenzwinkert vertont und inszeniert. Das Freiheitsstreben der Völker hat sich dann auf das Freiheitsstreben im Volk übertragen. Klar, ist nur eine spekulative These, aber schön zu glauben. Im Bild unten ist ein Cembalo zu sehen. Mozart spielte es selbst in den ersten 3 Aufführungen und hat wohl auch dirigiert, vielleicht wie es aus dem Film “Amadeus” 1984 in Erinnerung geblieben ist. Toll eine Oper, nicht nur für den Opa.

Flotow Martha

Die musikalische Schaffen des Fritz von Flotow ist recht umfassend. Seine aufwendigen Opern werden bis auf „Martha“ kaum noch gespielt. Die letzte mir bekannte Aufführung von Martha war in Schwerin mit Radioübertragung im Deutschlandfunk 2009. Im Auswahlrepertoire für den „Concour de la Reine Elisabeth“ war noch in 2018 auch die Arie “Ach so fromm” aus Martha zu finden. Der Sieger Samuel Hasselhorn hatte allerdings eine gute Wahl mit Fokus auf Liedern von Schubert und Schumann gelegt, die scheinbar bei der aus Bayern stammenden belgischen Königin Elisabeth sehr beliebt waren. Es verwundert nicht, wenn Fritz von Flotow, dessen Oper Martha in Wien uraufgeführt wurde, weiterhin auf der Liste der möglichen Stücke im Wettbewerb steht. Der Nachwuchswettbewerb hat eine karriereprägende Funktion für viele Teilnehmende. Die meisten Aufrufe auf Youtube hat die italienisch gesungene Version von Ach so fromm aus Marthas zum Beispiel von Pavarotti. Oder auch von Caruso oder von Placido Domingo, dessen langjährige Frau selbst Marta hieß. Die deutsche Fassung, gesungen von Placido Domingo ist eine von meinen Favoriten (hier). Die ältere Version, die ich von ZDFtheater gefunden habe, hat ihren eigenen Charme durch die pantomimisch begleitete Ouvertüre von Sama Molcho und die klar gesungenen Arien. Ab 1h17 gibt es dann die “Ach so fromm” in historischen Kostümen. Diese Interpretation erscheint mir sehr an die von Jacques Offenbach begründete französische Tradition der Operette angelehnt zu sein. Aus der Biografie von Rosine Swoboda, die Witwe von Friedrich von Flotow ist bekannt, dass sich die beiden Komponisten kannten und freundschaftlich verbunden waren. Mit 3 Mio Aufrufen ist „Die letzte Rose“ gesungen von Lila als Trauerlied wohl doch der populärste Hit vom Fritz. Das Europäische Jugendorchester hat Arie und Duett 2013 in London aufgeführt. Also, wer nun mal „Martha“ als Tenor mitsingen möchte, kann die Noten unten oder die karaoke Version oder Klavierbegleitung einer Pianistin aus Berlin-Schöneberg heranziehen. Worauf warten wir noch? Ich stelle die Dusche schon an, länger als 3 Minuten sollen wir eh nicht mehr duschen. Die Entzauberung der Tenorstimme können wir z.B. hier leicht verständlich nachlesen (Link), Schalldruck ist das akustische Geheimnis.

Marx-Wagner

Begleitend zu den Ausstellungen zu Karl Marx und Richard Wagner fand eine vom DHM organisierte Vortragsreihe statt. Die Links (hier) zu den Hördokus sind eine anregende Erweiterung der Ausstellung und stützen die These der Verbindung zwischen Karl Marx und Richard Wagner auf einer abstrahierenden Meta-Ebene. Die Vorträge, Gespräche und Diskussionen informieren und vertreten wissenschaftlich fundierte Thesen. Die müssen gerade nicht von allen geteilt werden, aber eine Haltung zu dem Thema haben die meisten Menschen in der Welt, besonders wenn wir an die Millarden von Menschen jenseits von der westlichen Welt denken. Es ist also auch an uns, diese Diskussion über den Kapitalismus zu führen. Hören wir mal rein. Alle dauern 1h-1.30h!
EinleitungM&W Kosky + Bisky, M&W Nietzsche, M&W Mahatma Gandhi, M&W Viktoria Kaiserin Friedrich, Ein Artikel aus der Financial Times von Martin Sandbu vom 18.8.2021 und Martin Wolf vom 21.11.2021 ergänzen die Diskussion: Wenn der Kapitalismus weltweit gewonnen hat, was war dann noch mal der Wettbewerb? Bitte öffnen Sie jetzt ihren Computer, Sie haben 3 Stunden Zeit für die Beantwortung. $???$ Danach speichern Sie bitte das Dokument in der Cloud und nehmen es zur Evaluation nach 10,20,30,40 Jahren wieder hervor. Hat sich ihre Meinung über den Sachverhalt zwischenzeitlich verändert? THX for your feedback.

Flotow Leben

In der Musikabteilung der Stabi Ost fand ich im Lesesaal der Musikabteilung einen schmalen Band zu einer Biografie von Friedrich von Flotow, dem Komponisten, verfasst von seiner Witwe aus 3. Ehe Rosa Rosine Swoboda, erschienen 1892 in Leipzig im Verlag Breitkopf und Härtel. Der Vater des Komponisten Johann Adolf Wilhelm *17.9.1785 wurde bereits als Offizier im Alter von 21 Jahren in der Schlacht bei Jena verwundet. Friedrich von Flotow wurde in bescheidenen Verhältnissen am 26.4.1812 in Teutendorf geboren. Sein Vater und Verwandte, (S.17) haben ihm, laut seiner Witwe, viele Steine in den Weg gelegt, damit Fritz keine musikalische Laufbahn einschlägt (S.27-28). In unterschiedlichen Pensionen zuletzt in Lüdershagen bei Güstrow lernte Fritz Harmonielehre und weilte tageweise bei der Schwester seiner Mutter. Auch mütterlicherseits wird ein dänischer Hauptmann von Böckmann auf Lüsewitz (S.21) erwähnt, dessen älteste Tochter Jeanette mit einem Herrn von Bülow verheiratet war, der aber bald verstarb. Nach Rückkehr ins Vaterhaus lernte Jeanette den jungen Studenten Gabillon kennen, Sohn eines französischen Tanzlehrers in Mecklenburg. „Hochgebildet, geistreich und mit vielen körperlichen Vorzügen ausgestattet, hatte er bald das Herz der jungen Witwe erobert, die in ihrer ersten Ehe kein besonderes Glück gefunden hatte.“ (S22). Im Chor des Güstrower Gesangvereins unter Leitung des Steuersekretärs Gabillon durfte Fritz bereits 13-14-jährig mitsingen und vielfältige Instrumente kennenlernen.
Dem Wunsch des Sohnes und seines Fürsprechers nachgebend, reiste der Vater am 13.2.1828 mit Fritz nach Paris, wo Fritz bei einem französischen Major, der mit einer Frau aus Mecklenburg, die bereits verstorben war, verheiratet gewesen war, in Pension wohnte. Harmonielehre bei Anton Reicha (besser erläutert hier engl. Reicha), bei dem bereits 1820 Hector Berlioz Schüler war, hatte Fritz nachhaltig beeinflusst. Tief beeindruckt war er von dem Glanz und Glamour der Pariser Oper mit dem Ballett „La belle au bois dormante“ und Rossini’s Oper Wilhelm Tell.
Am 26.3.1830, 2 Tage nachdem Fritz die Selbsttötung seines Wohnungsgebers erlebt hatte, wurde dieser auf dem Friedhof Père Lachaise beigesetzt. Fritz überzeugte seine Eltern mit Hilfe von Gabillon, dass er selbständig mit gerade 18 Jahren eine Mansardenstube in der Rue St. Jacques beziehen durfte und seinen Unterricht fortsetzten konnte. Die am 27.7.1830 ausgebrochene Revolution schilderte Fritz anschaulich in seinen Aufzeichnungen. „Einige Tage nach dem Schlusstableau der Julirevolution“ (S.44) erhielt Fritz ein Schreiben von seinem Vater, zurück nach Güstrow zu kommen.
Wichtig zu erwähnen als Wegbegleiter sind Eugène Aubry (Bürgermeister von Argenteuil, die Stadt der Impressionisten) und Freund von Fritz der bereits 1871 verstarb, (Rue Rocher Nr. 9 Hotel Aubry (S.62) sowie Jaques Offenbach, der 7 Jahre jünger als Fritz ursprünglich in Köln geboren Jakob Eberscht hieß (Quelle Richard Fleischer, Deutsche Revue Heft 1 Januar 1883). Die Witwe von Fritz beschreibt die Einführung von Jacques Offenbach auch mit Unterstützung von Fritz zu Beginn in die Pariser Salons recht ausführlich (S. 67-72). Letztmalig treffen die beiden sich 1878 in Paris bevor Jacques am 5.10.1880 starb. Geradezu erheiternd ist die Passage (S. 84-86) bei der Fritz, sichtlich beeindruckt, von dem Erscheinen von Madame Georges Sand berichtet, die sich in der Pause eine Männerzigarre anzünden ließ. Anschließend gab es eine Improvisation von Chopin, die derselbe einleitete „er könne seine Begeisterung nur aus den Augen der berühmten Schriftstellerin schöpfen, man möge sie bitten, sich ihm gegenüber zu setzen. Georges Sand gewährte seine Bitte und nahm Platz am Ende des Flügels, warf einen langen Blick auf den musikalischen Improvisator und dieser, denselben erwidernd, begann“ (S.85). Nach vielen misslungenen Versuchen eine Oper in der großen Oper in Paris aufzuführen, ist es ihm zumindest 1843 geglückt, das Ballett „Lady Harriette ou la servante de Greenwich“ aufführen zu können. Aus diesem Stück wurde später das Libretto zu seiner Oper Martha 1947 in Wien erstellt und aufgeführt. Die prima ballerina dieser Aufführung, Adèle Dumilâtre, hatte indirekten Anteil daran, dass es überhaupt zu diesem recht kurzfristigen Engagement kam. In den folgenden Jahren bestimmten die Aufführungen der “Martha” den Erfolg des Komponisten. Ausgehend von der Auftragsarbeit für Wien kam dieses Werk aber auch 1858 nach Paris auf die Bühne im „italienischen Theater“. Nach Übernahme des elterlichen Gutsbesitzes hat Fritz 1849 geheiratet, doch bei der Geburt des Sohnes verstarb die junge Elise von Zadow am 1.8.1851. Eine 2. Heirat mit Anna Theen wurde anfangs 1855 beschlossen. Zwei Söhne sind aus dieser Ehe erwachsen. Als Leiter des Hoftheaters in Schwerin hatte er sich durch seine Kenntnis von Proben und Organisation der führenden Häuser in Europa empfohlen. Als Intendant neben einem technischen Leiter wurde ihm zunächst befristet auf ein Jahr mit Aussicht auf spätere Daueranstellung die Intendanz angetragen. 1868 heiratete Fritz zum dritten Mal und wohnte in Kirschwang bei Reichenau bei seiner Frau Rosine Swoboda. Zusammen mit Mosenthal war Fritz Verfechter und dann zeitweise Vorsitzender der Deutschen Genossenschaft dramatischer Autoren und Komponisten, die später in Leipzig gegründet wurde und damals bereits Autorenrechte verteidigte.
Seine letzten Jahre ab 1880 lebte Fritz auf dem Gut Heiligenkreuzberg in Darmstadt am Eingang des großherzoglichen Wildparks Kranischstein. Dies gehörte seiner Schwester Bernhardine. Zu seinem 70. Geburtstag und der 500.-ten Vorstellung der „Martha“ bekam er eine Einladung von der Generalintendanz des kaiserlichen Hofopernhauses. Seine letzten Tage bis zu wiederholten Schlaganfällen verbrachte er in Darmstadt, wo er am 24.1.1883 mit 70 Jahren verstarb. Sein Lebensschicksal war es wohl, 3 Wochen vor Richard Wagner zu sterben. Der Tod und ständige unterschwellige Vergleich mit dem schaffensgewaltigen Exzentriker Richard Wagner hat Friedrich von Flotow bis heute um viel Aufmerksamkeit gebracht. Es bleiben noch einige Entdeckungen diesbezüglich zu machen.

Wagner Kontrovers

Selbst im 21.-ten Jahrhundert lesen wir weiter von Kontroversen um Richard Wagner (z.B Molnar und Molnar 2022 S.161-186). Dazu hat auch das DHM beigetragen mit einer Ausstellung, die interessante Assessoires aus dem Leben Wagners kürzlich in die Vitrinen stellte (s.u.). Neben Dokumenten zu seinem hartnäckigen Antisemitismus, bereicherten die extravaganten Kleidungsstücke, Maßanfertigungen, Beispieldrucke zu seinen politischen Überzeugungen und Dokumente zur kontinuierlichen Geldnot, die Sichtweise auf das musikalische Schaffen des Komponisten. Verliebtheit in kostspielige Details bei gleichzeitigen Überredungskünsten bei Stiftenden und Gönnern, haben sein überragendes Lebenswerk erst möglich gemacht. Die Zusammenschau von Leben der Person und seinem Werk konnte zeitgleich zur Ausstellung über Karl Marx in Nachbarräumen des DHM in 2022 besucht werden. Die überraschende, aber gelungene, Parallele oder Klammer für beide Ausstellungen ist die von beiden auf völlig unterschiedliche Weise betriebene Kapitalismuskritik, wie ein Begleittext und in Führungen durch die Ausstellungen berichtet wurde. Müssen wir zur Freistellung des Schaffens von Wagner dem Vorschlag Adornos folgen, die Musik des Komponisten frei zu machen von seinem Antisemitismus und der späteren Vereinnahmung durch die Nazis? Es fällt mir äußerst schwer, diese Trennung vorzunehmen. Es ist jedoch Wagners eigenen Schriften zu schulden, dass er einen Absolutismus predigte und darauf hinarbeitete. Das Werk „Muette de Portici“ von Auber, welchem er sogar die Revolution in Belgien zuschrieb (Colas 2012 S.26) hatte ihn schwer beeindruckt. In einem Aufsatz „Über deutsches Musikwesen 1840 S.165, schreibt Wagner, zitiert nach Colas, „La Muette entspricht einem Nationalwerke, wie jede Nation höchstens nur eines auszuweisen hat“. Die kurze Zeit Wagners in Paris ab 1839-1842 hat ihn mehr beeinflusst als er zugeben mochte, vielleicht durch Ablehnung in Frankreich sogar in eine dialektische Entwicklungsrichtung hineinbewegt. Die libertäre und kritische Einstellung Wagners zu politischen und wirtschaftlichen Zuständen seiner Zeit, bei gleichzeitigem Ausleben eines extravaganten Lebensstils, lässt den Tonkünstler in zwiespältigem Licht erscheinen. Dieses Facettenreichtum der Persönlichkeit und des Werks kam in der Ausstellung im DHM gut zur Geltung. Ambivalenz aushalten, lehrte diese Ausstellung. Anregen zu weiterer Befassung mit Person, Werk und Wirkung ist die Folge. Bei mir hat das gewirkt. Die in dieser Zeit sich vertiefenden “Mythen der Nationen” (Flacke M. DHM 1998) in europäischen Ländern, spiegeln den Wettstreit der Komponisten um nationale und überregionale Geltung wider. Ein anderer Komponist dieser Zeit, der als Vermittler zwischen den Kulturen wirken wollte, ist dabei etwas in Vergessenheit geraten, sowie viele andere KomponistInnen dieser Zeit, die sich an dem anzettelten deutsch-französischen Kulturkampf nicht beteiligen wollten. Der Tod von Wagner am 13.2.1883 ist 3 Wochen nach Friedrich von Flotow, 1 Monat vor Karl Marx. In dem Jahr veröffentlicht Nietzsche “Also sprach Zarathustra 1.Band”. Bewegte Zeiten.

Kapitalismus Kritik

Das Deutsche Historische Museum in Berlin (DHM) zeigte vom 10.2 bis 21.8.22 die Ausstellung “Karl Marx und der Kapitalismus“. Die Verbindung von Leben, Werk und Wirkung des in Trier geborenen Sozialwissenschaftlers Karl Marx st eindrucksvoll. In einer knapp gehaltenen Dokumenten- und Exponatensammlung wird die Bedeutung von Marx für die Weltgeschichte durch seine Kapitalismuskritik deutlich. Viele schreckliche Taten wurden in seinem Namen ausgeübt. Dabei geht oft die wissenschaftliche Analyse, die von ihm betrieben wurde unter. Gerade in seinem Verständnis von wirtschaftlichen Krisen hat er Beiträge geleistet, die uns in der Bankenkrise 2007 nochmals klar geworden sind. Weiterhin sind die Arbeiten zur Ungleichheit zwischen Kapitaleignern und Beschäftigten eine grundlegende Herangehensweise geblieben, die von SozialwissenschaftlerInnen auch im 21.-ten Jahrhundert, beispielsweise von Piketty fortgesetzt und mit aktuellen Daten nahezu weltweit untermauert werden. Die Folgen der industriellen Revolution, die er damals erforschte, befasst uns heute wieder in anderer Form zum Beispiel mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf Beschäftigung und Lohngefüge. Selbst den von ihm geprägten Begriff der Ausbeutung, verwenden wir weniger auf Beschäftigung, als auf die Ausbeutung der Natur oder unserer Umwelt zugunsten von einseitiger Kapitalvermehrung. Kurz gesagt: Karl hat keinen Murx gemacht, sondern Methoden und Analysen geliefert, die noch die heutigen Jugendlichen und nächsten Generationen beschäftigen werden. Damit wird das DHM einem Postulat gerecht, das bereits bei der Eröffnung des Historischen Museums Frankfurt von Hilmar Hoffmann formuliert wurde: “Ein demokratisches historisches Museum ist kein Museum, das Kriegschroniken in goldenen Lettern schreibt oder die Mächtigen zu Übermenschen stilisiert. Es informiert vielmehr über die Geschichte des Volkes, über die Sozialgeschichte der Durchschnittsmenschen”. (S.33 in DHM Ideen-Kontroversen-Perspektiven 1988). Zu all diesem hat die Ausstellung “Karl Marx und der Kapitalismus” unzweifelhaft einen guten Beitrag geleistet. Was bleibt? x-tausend BesucherInnen und ein dicker Katalog. Reicht das?  Wirkungsforschung zu Ausstellungen könnte hilfreich sein.

Merkel

Angela Merkel gehört nun endgültig zur Geschichte. Zuerst die Ausstellung von Merkel-Porträts von 1919-2021 der Fotografin Herlinde Koelbl im DHM mit Katalog erschienen bei Taschen, kürzlich das Interview des Spiegelredakteurs und die Quintessenz daraus in LeMonde vom 29.11.22, zusammengenommen eine kleine Bilanz der Amtszeiten.  Die Porträts (1) in Draufsicht 2/3 des Bildes durch das Gesicht ausgefüllt und (2) stehend mit Händen zur Raute geformt, zeigen das Altern durch die Last der Ämter. Ist die Raute anfangs noch mit Druck und weit abgesreizten Fingern zu sehen, wird die Geste im Laufe der Amtszeit lust- und kraftlos. Der Gestaltungswille noch als Umweltministerin hat sich durch Getrieben-sein später abgenutzt. Das Bild 13 der Pressemappe zeigt die Kanzlerin 2020 mit Maske und nur noch 2 Fingern jeder Hand, die sich berühren. Aus der Versuch der Quadratur des Kreises in Amts-, Partei- und Koalitionsgeschäften. Auch das Bild auf S. 243 des Katalogs von 2021 spiegelt eher eine gequälte Kanzerlin statt eine streitbare Verfechterin ihres Amtes wider. In Rückschau erscheint es wohl doch zu lange gewesen sein für den Menschen Merkel. Der Verweis auf das freiwille Ausscheiden aus den Ämtern ist nur die halbe Wahrheit. Im Spiegel Interview (ab Minute 12!) berichtet Frau Merkel von 2 Dingen, die sie sich jetzt vorgenommen hat: mehr bewegen und mehr lesen. Das trifft es auf den Kopf.
Mehr bewegen, eben gerade in der Politik hätten sich Millionen von Deutschen gewünscht, dass sie mehr bewegt auf wichtigen Themen- und Politikfeldern. Überall da zum Beispiel, wo wir nun wissen, wir hinken hinterher: Klimaschutz, digitale und öffentliche Infrastruktur, Verteidigungssysteme, Bekämpfung von Ungleichheit, Steuergerechtigkeit, nachhaltigen Verkehr in Städten und auf dem Land, um nur einige zu nennen.
Mehr lesen, offenbart, das Hören auf Einflüsterer hatte einen hohen Stellenwert, scheinbar mehr, als das Erarbeiten einer eigenen Position durch Aktenstudium. Die Regierungskunst der Kanzlerin bestand hauptsächlich im geschickten Moderieren der unterschiedlichen Positionen innerhalb der Koalitionspartner, insbesondere auch mit der CSU. Im Rückblick heute kommen mir die 16 Regierungsjahre als Zeit der verpassten Chancen vor, aber die Bescheidenheit im Amt hat Deutschland gut gestanden. Das hat Olaf Scholz bei ihr abgeguckt, nur, ihr Nachfolger ist zu beherztem Handeln im Amt gezwungen. Das blieb Angela Merkel weitgehend erspart. Jetzt ist Bewegung gefragt, Aufholbewegung zunächst. Stillstand überwinden, Planungsverfahren verkürzen damit erneuerbare Energien sprießen.

Ukraine Kultur

Einen wahrlich denkwürdigen Abend hat das Festival “Aus den Fugen” im Berliner Konzerthaus ermöglicht. Das “Youth Symphony Orchestra of Ukraine” ist zusammen mit Stars ukrainischer Herkunft am Samstag 26.11.2022 im großen Saal des Konzerthauses aufgetreten. Auf dem Programm stand zu Beginn vom Meister der Kunst der Fuge, J.S. Bach, das Streichquartett, “Verleih uns Frieden gnädiglich”, passend zur Vorweihnachtszeit. Rasch wird aber klar, dass der Überfall auf die Ukraine am 24.2.2022 die Welt für viele aus den Fugen geraten lies. “Die Zeit ist aus den Fugen” deklamierte bereits Hamlet. Erneut bestimmt Krieg und Kriegswirtschaft unsere Handlungen, geschuldet dem russischen Tyrannen, der versucht hat und weiterhin versucht, die ukrainische Kultur auszulöschen. Das Konzert des YSOU setzt weiterhin Zeichen, dass diese reichhaltige Kultur es wert ist, gehört und gesehen zu werden. Die Kompositionen von Mykola Lysenko, Suite über ukrainische Themen op2 oder die Arie der Nastia sind eindrucksvolle Beispiele der frühen Selbständigkeit der ukrainischen Musiktradition. Das Lied “Schtschedryk“, zum Mitsingen, als Abschluss des Konzerts wird lange nachhallen im großen Saal des Konzerthauses und bei dem begeisterten Publikum. Die Präzsion der Dirigentin Nataliia Stets ist beeindruckend und ihr kurzer Hinweis auf den “Holodomor” – den “genuzidalen Hungerstod in der Ukaine um 1932″ zwischen den Stücken, hilfreich für das Verständnis des ukrainischen Aufbäumens heute und das Gedenken an Völkermorde, besonders auch die von Deutschen begangenen. Dank auch an die Solistinnen des Abends, die die Jugend und das Publikum begeisterten.

China altert

Zurückgehend auf die frühere strikte 1 Kind Politik erhöht sich der finanzielle Wohlstand der Chinesen alleine dadurch, dass das gleiche BIP auf weniger Köpfe verteilt werden muss. Eine Generation später ergibt sich aber durch das rasche Altern der Bevölkerung eventuell ein hohe finanzielle Last für weniger Beschäftigte bei gleichzeitig mehr älteren Menschen. Die Beschäftigungsquoten der älteren Menschen waren niedrig im Vergleich zu Europa, das bedeutet ein gestresstes System zur Finanzierung der Renten und, wie eine neue Studie (Lancet Public Health 2022) zeigt, für die Pflege der Älteren. Bis 2030 werden laut der Studie bis zu 14 Millionen Menschen zusätzlich Pflege benötigen. Das betrifft überwiegend Frauen und Personen im ländlichen Raum. Das ist bei uns auch so, denn Zugang zu ärztlicher Hilfe, Krankenhäusern und Unterstützung im täglichen Leben ist aufwendiger bei größeren Entfernungen und Fachkräftemangel. Das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit hängt stark von dem gesunden Altern ab. Dies ist wiederum vielfach bedingt durch Bildungsniveaus und Lernfähigkeit und -wille im Alter bezüglich der eigenen Gesundheit.  Bewegung ist der Schlüssel zu mehr Gesundheit. Damit lässt sich die Pflegebedürftigkeit lang hinauszögern. Also raus, auch wenn es frisch ist. Open access Lancet paper (hier)

Ident

Wir alle kennen mittlerweile das Ident-Verfahren. Meistens begegnet es uns bei Eröffnung von Konten durch ein Post-Ident-Verfahren am Postschalter oder durch ein Video-Ident = Identifizierung per Video oder Uploads von Fotos des Personalausweises bei irgendwelchen Portalen. Praktisch ist die gemeinsame internationale Sprachwurzel Ident-ität, -ité , -ity in D/F/E. Unsere emails funktionieren mit einem eigenen, vergleichbaren Ident-Verfahren. Die meisten Menschen hinterfragen nicht weiter ihre Identität bis sie von anderen oder von außen darauf hingewiesen werden. Bei Reisen jenseits der EU wird staatlich verbriefte Identität, meist mit Nationalität gleichgesetzt, dann zu einem Thema. Regionale Identitäten innerhalb eines Staates sind auch ein leidenschaftliches Thema bei Fragen zur Herkunft.
Der Autor Paul Audi hat in seinem Buch zum Thema “Identité” eine der modernen soziologischen Literatur entsprechende Sichtweise auf Identität vorgestellt. Nicht eine, sondern mehrere Identitäten, eine an sich plurale Identität ergibt sich in der modernen Welt mit verteilten Loci der Identität. Das hat Roger-Pol Droit in seinem Editorial von LeMonde des Livres vom 26.8.2022 treffend zusammengefasst. Sicherlich eine viel und kontrovers diskutierte Anregung in Wahlkämpfen. Vereinfachung auf Pass = Identität greift viel zu kurz. Identitäten schreiben Lebensverläufe sowie umgekehrt aus den Lebensverläufen Identitäten entstehen. Teils gemischte, teils neue Identitäten sind dabei im Werden begriffen. Sie sind selten statisch, meistens eher dynamische Verläufe mit komplexen wechselseitigen Beziehungen. Konstruktion, Dekonstruktion und Rekonstruktion sind das was bleibt. Spannende Biografien eben. Eine Fixierung der Identität auf etwa zufällige Herkunftskonstellationen verkennt die Chance Identität als Ziel selbst zu definieren. Daraus ergibt sich ein erweiterter Freiheitsbegriff. Sich eine neue berufliche Identität zu konstruieren, gehört zur Entwicklung von Jugendlichen und mit lebenslangem Lernen gleichfalls zu Lebensverläufen von vielen Menschen. Warum vor Grenzen halt machen. Bilaterale Identitäten (z.B. D-F) gehören zum Alltag. Eine europäische formiert sich (proposition en francais). 

Was macht die Kunst

Das Leben in Metropolen erlaubt es, an fantastischen Wochenenden teilzunehmen ohne viel CO2-Aufwand. So konnten wir an dem “Brussels Galery Weekendmit längeren Spaziergängen von Galerie zu Galerie schreiten und Inspirationen sammeln. Mit Blick über die Jahre hinweg, zeigt sich viel Kontinuität im Kunstbetrieb trotz Corona-Unterbrechung. Das Home-Office-Syndrom ist erklärter Einfluss in den Arbeiten von “Michael Cline” (Nino Mier Galery Brussels) mit Hinwendung zu introvertierter in matten Farben erscheinenden Pflanzenansichten. Philosophisch angelehnt an den späten Voltaire, der sich nach bewegtem Leben und Schreiben, vorwiegend seinem Garten und Pflanzen gewidmet hat.
Politisch anregender und streitbarer geht es da schon die letzten 30 Jahre (!) bei den kollaborativen Künstlern “Lucy + Jorge Orta” zu. Seit Ausstellungen zur COP21 im Grand Palais in Paris und vielen anderen gibt es eine Zusammenschau nun in Brüssel bis 12.11.22 im “Patinoire Royale” bei der Galerie Valérie Bach (engl) zu sehen.
Also, was macht die Kunst? Sie lebt nach der Krise, wie vor der Krise und in der Krise und hyperventiliert. Aber, wer schaut noch hin und lässt sich anrühren. Längst erschlägt uns die Bilderflut des täglichen Medienrummels. Dabei haben wir die Hoheit über unsere Augen und Ohren. Auffallend ist die Inszenierung der meisten Galerien als Ruheräume, oft etwas abseits der Hauptstraßen und mit Hinterhöfen oder -gärten. Auch diese Kathedralen der Moderne generieren Kraft aus Stille gepaart mit Anregung.

Lange Schatten

Bestimmte Ereignisse im Leben von Menschen werfen lange Schatten. Das ist ein viel beforschtes Thema (z.B. critical life events research). Einen frischen Blickwinkel aus autobiografischer Perspektive ergänzt Andreas Fischer mit seiner autobiografischen Erzählung “Die Königin von Troisdorf“. Er steht buchstäblich im langen Schatten seiner Großeltern, Eltern, Tanten und Onkeln. Mit viel Details widmet sich der Autor den Nachwirkungen von Kriegserfahrungen seiner Familie, hauptsächlich denen des 2. Weltkriegs auf die Psyche. Das Schweigen zu den oft traumatisierenden Kriegserfahrungen schafft neuerliche Barrieren, die in die Gegenwart fortwirken. Verbindugen zwischen den Generationen lassen sich erzählerisch gut darstellen, insbesondere das Sich-ineinander-verschränkende der Beziehungen und Erfahrungen. Dabei gibt es Kernschatten und Halbschatten, aber selten klares Licht auf Geschehnisse. Einzig die langen Nachwirkungen werden offensichtlich. Dabei könnte anstelle des Schweigens der Generationen zu den eigenen Erfahrungen und denen der (Groß-)Eltern durch Berichten im Familienzusammenhang vorzüglich als Lernkontext für alle und nachkommende Generationen dienen. Nach den vielfach gescheiterten Aufklärungsversuchen der 68er- Generation, hatte sich eine neuerliche Schweigewelle ausgebreitet, die erneut zu brökeln scheint (vgl. Henri-Nannen, vielfach Straßennamenänderungen). Bis zur Kriegswende 1942 wurden große Pläne geschmiedet (damals schon in Verbindung mit einer Besetzung der Ukraine S. 215-6). Das nachwirkende Trauma besteht wohl neben den vielfach beschriebenen direkten Kriegsverletzungen auch in dem Zerborsten der euphorisierten Zukunftsträume der Kriegsgenerationen aller Altersklassen. Aus Kindheitsträumen wurden offensichtliche Illusionen oder gar tiefsitzende, externalisierte Enttäuschungen. Verdrängte Schuldfragen und Wahrheitsverweigerungen mussten über Jahre aufgearbeitet werden. Die abgekürzte Entnazifizierung hat die Länge der Schatten innerhalb der Gesellschaft und der Familien nur vergrößert. Halbschatten ist eben nur halb im Schatten und schon halb im Licht. Bildquelle: http://didaktik.physik.hu-berlin.de/material/forschung/optik/anfangsoptik/schatten.htm

Spitzel

Warum der Tagesspiegel bei meinem früheren alteingesessenen Zeitungshändler “Spitzel” hieß, ist mir lange nicht klar gewesen. Ein ungutes Gefühl bei den gelegentlichen Käufen ist geblieben. Das Schimpfwort “Springerpresse” war schlimmer und “Lügenpresse” ist eindeutig ein Pressefreiheit misachtendes Statement. Der Unterschied zwischen Meinungen, wie und welche Meinungen in der Presse erscheinen kann verzerrt sein. Im großen und ganzen können wir mit unserer Presselandschaft in der globalen Aufmerksamkeitsökonomie noch zufrieden sein. Das Sinken der Zeitungslesenden um ca. 50% in den letzten 20 Jahren ist zwar recht dramatisch, aber hat vielfältige Gründe. Wenn aus Berichterstattung zunehmend Meinungs- oder Stimmungsmache wird, werden Personen, die Informationen suchen sich an andere Medien halten.
Es ist verständlich, Printmedien brauchen andere Finanzierungsquellen als Abos und Laufkundschaft (Grenze irreführende Werbung). Den “local turn” der Lesenden bei gleichzeitig Qualitätsbewusstsein bei überregionalen Zeitungen, was Auflagen steigen lässt, hat der “Spitzel” vollzogen. Da Überregionalität in Deutschland kaum mehr zu erreichen ist, begibt sich der “Tagesspiegel” auf die “Spitzel”-Variante. Mit 12! lokalen Teilen allein in Berlin gibt es fast für jeden Bezirk einen Spitzel. Diese Person berichtet meistens Trivialitäten aus dem Bezirk, erreicht aber wahrscheinlich, wegen dem alternativen Bezahlmodell (à la Google, Facebook etc. mit gezielterer Werbung + viel Eigenwerbung) und nur scheinbar kostenlos, eine breitere interessierte Öffentlichkeit. Gezielte high impact Werbung wird so ermöglicht.
Was heisst das konkret? Naja, auf einen Artikel zu Milieuschutz und Gentrifizierung folgt dann eben eine gezielte Werbung, die als Info getarnt daherkommt. Die vielen Spitzel vom Spitzel spielen das Spiel kräftig mit, indem sie Gentrifizierung als “Kampfbegriff” versuchen zu diskreditieren, obwohl es in der wissenschaftlichen Literatur z.B. der Stadtsoziologie + Geografie  weltweit ein analytisches Konzept ist (Ursprung).
Der Treppenwitz der Berliner Geschichte ist dabei, dass Fahrstühle, die in Berliner Altbauten eingebaut werden leider für Rollstühle oft zu eng sind und meistens erst auf einer 1/2 Etage starten.  Genau, sie stoppen dann auch wieder eine 1/2 Etage niedriger oder höher, da sie wegen der Treppenhäuserkonstruktion in U-Form eigentlich nur außen angebaut werden können. Wir sollten also die Spitzel mal mit Gehhilfen, Rollator, Rollstuhl oder Kinderwagen solche Aufzüge benutzen lassen, damit eine objektive, nicht von möglicher verdeckter Werbung getriebene Berichterstattung erfolgt. Ich empfehle einen Besuch beim Orthopäden oder Osteopathen, um frühzeitig auf die Gelenke zu achten, mehr aber sollten wir das Körpergewicht (Obesity in EU) im Blick haben. Vorbeugen war schon immer besser als Heilen mit teuren Hilfsgeräten. Das gilt auch für faire mediale Bericherstattung. Noch mehr Spitzel in immer kleineren räumlichen Einheiten braucht wohl keiner, oder? TagesspiegelAuszug aus: Tagesspiegel Leute Tempelhof/Schöneberg vom 14.6.2022. Nur zu, machen sie “was mit Medien” aber richtig, nein auch nicht mehr so wie Henri Nannen. Radiobeitrag dazu. Hier.

Renovieren

wie das Verb sagt, renovieren ist ein Tu-Wort. Da wird meistens ganz schön viel getan. Bleibt die Frage, wieviel selber machen und wieviel Unterstützung wird mobilisiert oder zugekauft. Wichtig ist, sich im Klaren zu sein, Renovieren ist ein Prozess und der kann dauern. Oftmals oder immer, länger als geplant. Dieser Blogbeitrag plädiert deswegen bereits vor Beginn des Renovierens einer Selbsthilfegruppe mit entsprechender Denomination beizutreten oder lokal, vor Ort, eine solche Gruppe zu gründen. Aber langsam, warum renovieren Menschen eigentlich? Zu Pfingsten könnten einige glauben, es hätte ihnen der heilige Geist eingeflüstert, andere sind davon überzeugt, es kann nur Teufelswerk sein. Gemeinsam ist beiden Sichtweisen, das eine gehörige Portion Fremdbestimmung mit im Spiel ist. Handwerkliche Tätigkeiten mit ihren Überraschungen und Planungsunsicherheiten im 21. Jahrhundert prägen den Prozess.
Warum noch lassen wir uns aufs Renovieren ein? Wir wollen es schöner, besser oder praktischer in der Zukunft haben. Und dann sind da auch die berüchtigten Rosen in Nachbars Garten. Energiewende, Unwägbarkeiten des eigenen Alterns, Inflation, Investition sowie Hochglanzbroschüren liefern viele Argumente endlich mal mit dem eigenen Renovieren anzufangen. Hören sie sich dann unbedingt die vielfältigen Geschichten von Renovierungsarbeiten anderer Personen an. Okay, es wird länger, teurer, oft ein bisschen anders als geplant. Den Soziologen interessieren beispielsweise die Aushandlungsprozesse, intrafamiliär oder mit Geschäftspartnern. Auch die Veränderungen der Zufriedenheit über den Prozess hinweg, böten ein unterhaltsames Forschungsprogramm. Alle 2 Wochen fragen wir, wie zufrieden sind sie mit Handwerkern, Partnern, Telefonhotlines, Baumaterial, Terminvereinbarungen, Bauausführungen? Sie können die Fragen beliebig fortsetzen. Was waren ihre größten Überraschungen? Notieren sie alles und bringen sie es zur nächsten Sitzung der Selbsthilfegruppe mit. Gerne auch etwas Anschauungsmaterial in Bildern oder emails beilegen. Sie werden sehen, das erleichtert ungemein und beim nächsten bevorstehenden Renovieren sind sie viel entspannter. Auch für ihre Webpages und -spaces geeignet.

Homepage-Sicherheit

Übergänge

Auch Übergänge wollen gelernt werden.
In dem Beitrag von Arbeitsdirektorin Albrecht (Robert Bosch GmbH) im Tagesspiegel vom 19.10.2021 fordert sie von Unternehmen, ihr eigenes hoffentlich eingeschlossen, für die Bewältigung des Wandels, mehr soziale Verantwortung zu übernehmen (s.u.). Unternehmen stehen ihrer Meinung nach in der Pflicht, Menschen von einer Arbeit in eine andere zu bringen. Im Sprech der Human Ressource Verantwortlichen heisst das eben, neben Einstellung auch Trennungsmanagement zu beherrschen. Das stützt die Regionen und den Wirtschaftsstandort allgemein, den sonst steigen die Sozialabgaben auch für die Unternehmen mittelfristig, also sogar mittelfristiges Eigeninteresse. Wer lange über Fachkräftemangel klagt, kann dann nicht im nächsten Atemzug Menschen entlassen, die lange hervorragende Dienste geleistet haben.
Gestaltung von Übergangsarbeitsmärkten als Beschäftigungs(ver)sicherung, lange mein Forschungsthema am WZB in Berlin und in der Lehre an der Jacobs University Bremen, baut auf das Engagement der Unternehmen und Beschäftigten, Übergänge zunächst innerbetrieblich oder zwischenbetrieblich zu organisieren. Erst subsidiär kommt die öffentlich ko-finanzierte Gestaltung von Übergängen dazu, also die Unterstützung von Übergängen von Ausbildung in Beschäftigung, Arbeitslosigkeit sowie sogenannte Inaktivität in Beschäftigung. Eine große Baustelle ist der Übergang von Beschäftigung in den Ruhestand, wenn wir an die Gestaltung eines mehr fließenden Übergangs denken, statt des weitverbreiteten harten Übergangs von Vollzeitarbeit in 100% Gartenarbeit.
Lernen und Weiterbildung spielen direkt oder indirekt bei all diesen Übergängen eine bedeutende Rolle. Das zu verdeutlichen, hatte ich gerade wieder die Gelegenheit anlässlich einer beeindruckenden Tagung der “AgenturQ” in Stuttgart. Das Denken in Netzwerken, Verbünden und Platformen war bereits allseits präsent. Die Vorreiterrolle von Baden-Württemberg in vernetztem Denken und Handeln wurde deutlich, da bereits kürzlich das 20-jährige Jubiläum des Tarifvertrags zur Weiterbildung in der Metall- und Elektroindustrie gefeiert wurde (u.a. mit einem Tagungsband zum Nachlesen).
Weiterbildung schafft Werte und ist Teil der Wertschöpfung (20211025_Schoemann_Praesentation), nicht Teil der versunkenen Kosten, denn durch weitverbreiteten Fachkräftemangel geht Produktion und Produktivität verloren. Sehen wir Qualifikationen und Arbeitskräfte als Teil der Lieferkette, wie beispielsweise im Krankenhaus, dann wissen wir wie schmerzlich Produktionsausfall und Qualifikationsmangel sein kann. Weiterbilden#weiterdenken bleibt eine Daueraufgabe. Der AiKomPass als Ansatz, informelle Kompetenzen sichtbarer zu machen, ist ein guter Ansatz für alle, ihr eigenes Kompetenzspektrum zu überdenken, zu dokumentieren und eventuell zu ergänzen.
Lernen kann so viel Spass machen, wenn wir passgenau ansetzen können.

George Sand

In der Reihe der bedeutenden Mäzeninen sollte George Sand nicht fehlen. In dem Buch “Les étés de Frédéric Chopin à Nohant 1839-1846” wird die Rolle von George Sand deutlich, wie sie  Frédéric Chopin neun Jahre lang in ihrer Villa auf dem Land empfangen und seine Kreativität und Gesundheit  unterstützt hat. Eine Liebesbeziehung war Teil der Komplizität der beiden Romantiker. Schriftstellerei und Komponieren haben sich vortrefflich ergänzt. Die Liste der Werke für Klavier, die in Nohant von Chopin komponiert oder fertiggestellt wurden, beläuft sich auf fast 50 Stücke. Mazurkas , Nocturnes, Walzer und Polonaises. Das Buch enthält vier CDs mit diesen Werken interpretiert von Yves Henry am Klavier. Als Camille Saint-Saens mit elf Jahren 1846 sein erstes Konzert im Salle Pleyel in Paris gab, war Chopin bereits sehr krank und hatte nach der Trennung von George Sand noch 3 weitere Lebensjahre. Musiktheorie “Harmonie und Melodie” von Saint-Saens beinhaltet Innovationen, die auch auf Chopin basieren. Jahre der Mittellosigkeit betrafen den jungen Saint-Saens und Chopin in seinem letzten Lebensjahrzehnt. Mäzenatentum daher eine “condition sine qua non” im Schaffensprozess. Die politisch, feministisch, sozialistish engagierte George Sand, die eine Regionalzeitung “l’éclaireur de l’Indre et du Cher” aufbaute (1844) schreibt charakteristisch für die RomantikerIn in dem Brief an die Mitgründenden der Wochenzeitung: “Les rêveurs de mon espèce pourraient dire aujourd’hui : “Je rêve, donc je vois.””   (ich träume, also sehe ich, S.23 “Questions politiques et sociales”, George Sand 2013). Ihr Sohn hat das Treppenhaus der Villa in Nohant dementsprechend als hommage in eine Traumlandschaft verwandelt. (Bilderserie zur Villa aus 2020)

Mäzene

Die Fortsetzung des Beitrags zur Entstehung der Profession der Künstlerin findet sich in der wenig untersuchten Rolle von Frauen als Mäzene. Der Besuch des „Musée Jacquemart-André“ legt eine Verbindung der Künstlerin Nélie Jacquemart-André zu ihrem Mäzenatentum durch Kaufen von Bildern anderer Künstlerinnen nahe. In dieser Sammlung befindet sich zum Beispiel ein Porträt angefertigt von Elisabeth-Louise Vigée Le Brun von 1790, eine der frühen Künstlerinnen im Beruf. Auch ein Beispiel einer eigenen Arbeit der späteren Mäzenatin findet sich in dem frühen Beispiel eines Gesamtkunstwerks. Das Ensemble Kollektion und Villa in Paris (158 Boulevard Haussmann) sowie die Abbaye de Chaalis neben dem Parc Rousseau mit weiteren Teilen der Sammlung. Die Mäzenatinnen von heute hatten prominente Vorläuferinnen, die noch wenig als solche gewürdigt worden sind. Erst heute wieder in der Covid-19 Pandemie werden wir uns wieder der Bedeutung von Mäzenatentum für die Künste bewusst. Bevor es Künstlersozialkassen gab waren die Mäzene und Mäzeninnen lebenswichtig im unmittelbaren Sinne des Wortes.

Künstlerin

Wie werde ich zur kunstschaffenden Person? Ein Lehrstück über die Soziologie und Entstehung der Profession der Künstlerin ist in Paris, im Gebäude des Senats zu besichtigen. Das Musée du Luxembourg zeigt den schwierigen Weg hin zur bildenden Künstlerin seit seiner Anfangszeit im Frankreich des späten 18-ten und frühen 19-ten Jahrhundert. Es war und ist ein schwerer Weg, in einer von Männern dominierten Welt als Frau eine Eigenständigkeit zu erreichen. Die ersten Stationen dieses Kampfes werden in der Ausstellung deutlich. Zulassung zu den Ateliers, der Ausbildung und zu „Kunst als Beruf“ mit professioneller Anerkennung und Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt damit zu verdienen, war und ist ein kämpferisches Unterfangen. Dieser Passionsweg wird deutlich in der kleinen sehr gelungenen, soziologischen Ausstellung. Die Genealogie und Soziologie der Professionen spricht seit langem von der „gläsernen Decke“, die viele Frauen an dem Aufstieg in höhere und höchste Positionen innerhalb einer Profession hindert. Das bleibt für jede Generation von Frauen ein Kampf bei dem Ihnen nichts geschenkt wird, auch oder gerade weil, die Bilder schön anzusehen sind. So erlaubt die Ausstellung, die Frau und den Beruf hinter den Bildern zu sehen. Eine Reflektion und Projektion über die Kunstschaffenden. Ein Spaziergang im Jardin du Luxembourg ist anschließend der Erholung dienlich.

Buddha Museum

In Fortführung des Themas “Geben und Nehmen” bot sich der Besuch des Buddha-Museums in Traben-Trarbach an. Als zentrales Thema gehört das Geben von Opfergaben, aber auch das Nehmen auf Seiten der Mönche zum buddhistischen Alltag. Durch das Geld als Tauschmittel hat das Geben, in Form von Naturalien oder zubereiteten Speisen, im Westen seine Bedeutung verloren. Die Armenspeisung oder Versorgung mit Lebensmitteln für Bedürftige hat sich in der caritativen Arbeit erhalten. Ansonsten ist der Tausch über Geld als Zahlungsmittel die kontaktlose Form des Gebens und Nehmens geworden. So hat mich am Buddha-Museum eigentlich überrascht, dass es einen festen Eintrittspreis gab, im Gegensatz zu Gotteshäusern anderer Religionen. Dies führte wohlmöglich zu der Besuchsruhe als fast alleinige Gäste an einem touristisch viel besuchten Wochenende  im Juni 2021. Die Sammlung im Museum überzeugt durch die historische Tiefe (bis ins 12. Jahrhundert) und geografische Breite (weite Teile Asiens) der Buddha-Repräsentationen. Über Inhalte der buddhistischen Lehre informieren viele Tafeln neben den Figuren. Ansonsten bietet sich das Meditieren an zum Beispiel im Innenhof oder auf der Dachterrasse. Viel Zeit mitbringen ist notwendig. Als Beispiele habe ich eine kleine persönliche Galerie zusammengestellt. Beschleunigung und Aufgabenfülle treibt selbst die Buddha-Repräsentationen (siehe Abbildungen unten). Während die frühen Darstellungen noch mit wenigen zusätzlichen Händen auskommen, haben spätere Darstellungen bereits viel mehr Arme und fast genauso viele Köpfe, um  die Arbeiten für die Gläubigen zu erledigen. Während zusätzliche Arme die Statue stabilisieren, werden weitere Etagen mit Köpfen selbst den Buddha sehr kopflastig werden lassen. Ist das Gesamtbildnis bereits gefährdet? Wir bleiben dran an der Story.
Die ausgewählte Buddhafigur (erste Abbildung) ist ein Geschenk des Königreichs Bhutan an das Buddha-Museum aus dem Jahr 2012. Eine Lehmfigur mit Naturfarben. Eine Weiheinschrift befindet sich versiegelt im Inneren. Laut Beschreibung hielt die Gesandte des Königs die Figur während des gesamten Fluges auf ihrem Schoß. Meditation mit Halten einer Buddhafigur ist auch schon eine beachtliche Leistung. Medienabstinenz ist für die jüngere Generation in 2021 kaum noch vorstellbar. Das sehen sicherlich unsere Gerichte schon so. Handyverbot ist Grundrechtsberaubung, da Informations- und Meinungsfreiheit darüber ausgeübt werden.  “Geben und Nehmen” über den Lebensverlauf ist nicht nur eine Meditationsreise wert, es beschreibt ein soziologisches Forschungsprogramm von großer Tragweite. Theoretische und empirische Durchdringung ist anspruchsvoll, beginnt doch das Leben von der ersten Zellteilung an mit dem Nehmen, aber auch dem Geben von genetischen Programmen. Dann sehen wir ein weiteres “Phase-in” des Gebens über den Lebensverlauf auf vielfältige Weise. Wollen oder sollen wir das bilanzieren? Den Menschen ist das weitesgehend freigestellt, Tieren weniger. In Annäherung an das Lebensende stellen sich viele Menschen erneut diese Frage des Gebens und Nehmens auf existentielle Weise. Die neue Bewertung der Sterbehilfe als neue Balance von Geben und Nehmen am Lebensende beendet vermeintlich den Lebensverlauf, die intergenerationellen Fragen wie Vererbung und Ungleichheiten schreiben jedoch den Zyklus des Gebens und Nehmens fort.

 

@KlausSchoemann

Kommentare zu aktuellen politischen Themen verbreite ich seit einiger Zeit über Twitter unter @KlausSchoemann .  Die Themen der Kommentare befassen sich überwiegend mit Europa, sowie wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge. Auf Evidenz basierende Meinungen stehen im Vordergrund. Einiges sind Fundstücke, die meine Vorlesungen und Seminare an Hochschulen und Universitäten sowie in der Wirtschaft aktuell halten sollen. Die Hintergrundstudien oder Erhebungen können ebenfalls meistens aus Retweets nachverfolgt werden. Weiter unten, gibt’s gleich die Liste der letzten Tweets des Rotkehlchens, Vogel des Jahres 2021, scrollen lohnt sich!   “Happy Reading”. Die Webseite “imagine4d.de” hat besonderen Fokus auf Europa und die Zukunft Europas bei weiterem spezifischem  Interesse. Wir bleiben im Kontakt, virtuell coronaconform im “new normal”, der neuen Normalität hoffentlich bald Post-Corona.