Generationswechsel

In den öffentlichen Bibliotheken ist ein Generationswechsel der Besuchenden überfällig. Traditionell finden sich 4 unterschiedliche Gruppen von Personen in den öffentlichen Bibliotheken wieder. Da sind (1) die bildungsaffinen Rentenempfangenden, (2) die Eltern mit Kleinkind(ern), (3) Wärme- oder Kühle suchende Menschen der Umgebung und (4) die Schul-, Hochschul- oder Examensvorbereitenden. Soziologisch betrachtet ist das ein interessantes Aufeinandertreffen von gesellschaftlichen Randgruppen.
Die „Neue Zentralbibliothek im KAP1“ (Düsseldorf) hat aus diesen meist unverbunden nebeneinander operierenden Gruppen eine kommunikative Gemeinschaft produziert. Aktion und Interaktion ist nun angesagt. Der Flyer betont richtungsweisend: „Menschen, Bücher, Räume“. Fortan soll der Mensch und seine Lernfähigkeit im Vordergrund stehen, nicht mehr nur die Bücher. Dazu braucht es meistens anders oder umgestaltete Räume. Lernen war immer schon interaktiv und nur in Teilen allein im stillen Kämmerlein. Dazu braucht es Labs als Lernräume und nicht nur die Stille der „Page-turner“. Lernboxen, Lernstudio, Musikstudio sowie eine „Kreativschmiede“. Dort wird heute gepodcasted, 3D gedruckt und es werden social-media Kanäle entworfen und betrieben, immer schön generationsübergreifend. Voneinander Lernen ist das Motto nicht mehr nur nebeneinander und im Wettbewerb um die beste Bewertung. Kollaboration und gesellschaftlicher Zusammenhalt brauchen neue Räume, dem KAP1 in der Düsseldorfer Zentralbibliothek ist dabei schon viel gelungen. Die zentrale innenstädtische Lage ganz nah am Hauptbahnhof ist ein zusätzliches Asset. Ansonsten hätte ich mich wohl nicht auf der Durchreise dorthin verlaufen. Ein Random-Walk in Bahnhofsnähe, verursacht durch verpasste Verbindungen der Bahn, hat zu einer unerwarteten, bereichernden Zwischenpause geführt. Der Ausblick aus dem Café auf das übliche innerstädtische Verkehrschaos konnte umgeben von Alt und Jung richtig genossen werden.

Stabi locker

Die Staatsbibliothek Berlin in der Potsdamerstraße macht sich mal richtig locker. Neben all dem gebundenen und gebündeltem Wissen gibt es eine kleine, etwas versteckte Ecke in der richtig gechillt werden kann. Mit aktuellen Tageszeitungen in Papier und online lässt sich gut pausieren. Eine tolle Aussicht gibt es zusätzlich. Selbst eine vorübergehende Schließung wegen überfälliger Sanierung wird die Stabi bei den Wissbegierigen eine wichtige Location vermissen lassen (fehlende Bücher).
Neben Wissensmaschine ist die Stabi eine Lernanstalt erster Klasse. Die Anzahl der mitgebrachten dicken Gesetzbüchern samt Kommentaren lassen einen immer wieder staunen über den Mangel an stillen Lernorten an Universitäten und in Privatwohnungen. Die richtige Lernumgebung befördert den Ansporn, noch eine extra Meile zu gehen. Wissbegierig ja, aber es braucht auch viel Durchhaltevermögen bei ständig wachsenden Ablenkungsmöglichkeiten. Gemeinsam, einsam, allein mit sich und dem Wissen lässt sich vorzüglich dicke Bretter bohren. Das ist ein wichtiger Teil, das Lernen zu lernen. Kunst am Bau und im Bau gibt es gratis dazu. Die Nähe zur Ablenkungsindustrie am Potsdamer Platz, Kinos, Spielbank und Fresstempel kann da getrost auf ihre späteren Opfer warten. Mit Regionalzügen und S-Bahn kommt man von dort rasch wieder weit weg.

Books

Some say, a book is a book, is a book. This is to reiterate the lasting effect a printed volume might have. Many books are a form of a documentation of facts. Creative writing in whatever form finds most of the time some way into a format of a book. For centuries books have facilitated the diffusion of myths and stories throughout societies including translated versions of the content. 2 aspects are constituent here (1) form and (2) content. Annual book fairs receive most attention for new content within more or less the same rectangular format. There are, nevertheless, interesting variations of the form to be discovered as well. Traditionally book binding was the art that gave shapes to the content. Images in form of film are yet another representation of the book content. All this is “dealt” with at the Frankfurt book fair #fbm23, particularly in form of dealing in and with copyrights. New forms of delivery of content, online or as e-book, have added to the variety of books. Pay as you go or as abonnement with monthly delivery is the old and maybe fashionable new way to digest abundant content. People trust in books. The format as book in general seems to remain an authoritative form to present content, irrespective of the truthful or fictional kind of the content. The more we live in insecure circumstances, the more we tend to be willing to hold on to a pile of paper nicely woven or clued. It is still a very powerful tool to guide imagination for all ages. It allows us to learn at our own rhythm as far as we are willing to go. We are, or seem to be, in control of the process as well as the likely outcome. And yet, the spice of life is the surprise. Book it.

Pastiche

Die lange Tradition der “Pastiche“ (BnF, 2023) der französischen Presse ist nur wenig über Frankreich hinaus bekannt. Sicherlich kennen viele den wöchentlich erscheinenden „Canard enchainé“ oder die Satire-Zeitschrift  „Charlie Hebdo“. Die witzigen, fälschenden Plagiate von bekannten Zeitungen und Zeitschriften, Pastiche genannt, haben einen Kreis an Liebhabenden, die sich ihren Humor nicht nehmen lassen. In Gesprächen gilt oft die humorvolle Sichtweise auf Politik, oder das tägliche Leben, als intelligent. Eine andere, unübliche oder gar verbotene Perspektive auf einen Sachverhalt kann ja bekanntlich zu einiger Erheiterung beitragen. Was sich seriöse Medien nicht erlauben, darf dann schon mal in den Pastiche vorkommen. Wie weit darf Humor gehen bis Humor verletzend oder gesetzeswidrig wird. Diese Grenzen sind je nach Kultur und politischen Gegebenheiten verschieden. In Frankreich lässt man/frau sich nicht den Augenzwinker verbieten. Übersetzen lassen sich die oft indirekten Anspielungen nur schwer. Viel Hintergrundwissen, oft nur von kleinen Gruppen von Personen, ist zum Verständnis nötig. Da wird vielfach erst auf den 2. Gedanken gelacht oder geschmunzelt. Die Bestände der BnF daraufhin zu sichten oder überhaupt die Kategorie zu führen, sogar als eine Literaturgattung, ist beachtlich. Nachrevolutionärer Karneval ist eben 365 Tage Narrenfreiheit. Das Recht und Gesetz dazu, wird wohl gut definiert sein. Majestätsbeleidigung wird es da nicht mehr im Strafbuch geben, was zu überprüfen ist.

Flotow Brief

Von Frédéric de Flotow habe ich bisher wenig von seinem Schriftverkehr in öffentlichen Bibliotheken (BnF) auffinden können. Beachtlich sind die Funde in den Pariser Bibliotheken. Neben einem auf Deutsch geschriebenen Brief sind dort 4 weitere, teilweise mit mehreren Blättern im Original erhalten. Es handelt sich dabei um Briefe, die mit Auftraggebern für seine Werke korrespondieren oder Besuche bei Bekannten, die sich meist verschieben oder schwer arrangieren lassen, denn der Komponist und spätere Intendant von Schwerin ist viel beschäftigt. Die zahlreichen Werke und Opern sind eine zeitraubende Angelegenheit, die Inspiration und Imagination brauchen, aber gleichzeitig eine aufgesprochene Fleißarbeit fordern. Talent ja, aber eben auch Durchhaltevermögen und ständige Suche nach geeigneten Libretti. Die Schrift, auf feinstem Briefpapier meist mit traditionellem Wappen der Familie Flotow eingestanzt, ist so klein und feingliedrig, dass mir bereits nach einer halben Stunde die Augen brannten. Ein Brief erwähnt das mögliche Engagement der italienischen Sopranistin Frezzolini an der italienischen Oper in Paris, die doch vielleicht schon die Hauptrolle in der Flotowschen Oper Martha übernehmen könnte. Der Opernchef Calzado könnte ihm (Flotow) doch vielleicht diese Ehre zu Teil werden lassen (Quelle: BnF Flotow, 1958 an Calzado, Notice n° :  FRBNF39807946 S.159). Der Komponist schreibt ein fließendes, höfliches Französisch mit den üblichen Grußformeln. Seine Lehrjahre in Frankreich lagen dabei schon einige Jahre zurück. Sprachbegabung verbindet sich häufig mit musikalischen Talenten, was sicherlich von der frühen Zweisprachigkeit befördert wurde. Beeindruckend zu sehen und in einem kleinen Auszug zu lesen.

Rhetoricae artis

“Die Kunst der Rhetorik und der positiven Fähigkeit” ist eine kleine Wissenschaft. So hieß es bereits 1475 in dem von Guillaume Rardif veröffentlichten Buchdruck aus dem “Atelier du Soufflet Vert”. (BnF, Réserve des livres rares, Rés. X-1118). Als Teil der Ausstellung zum Buckdruck entnehmen wir 5 wichtige Hinweise für die Kunst der öffentlichen Rede: (1) inventio = (Er-)findungskraft, (2) dispositio = Anordnung, Gliederung, (3) elocutio = Ausdrucksweise, Stil, (4) memoria = Erinnerungsvermögen, (5) pronunciatio = Urteilskraft.
Ein kritzelnder Leser hat mit Bleistift die 6 Teile angefügt. Exordium = Einleitung, Narratio = Erzählung, Sachverhalt, partitio = Einteilung, und schließlich die dialektik mit Confirmatio, Rufusation, Conclusio. Abweichungen von diesem rhetorischen Schema sind noch immer selten. Das galt wohl seit dem 15-ten Jahrhundert schon für Predigten und wissenschaftliche Vorträge. Alles altes Latein, oder was? Die heute übliche “Elevator-speech” folgt anderen Regeln. Die Aufmerksamkeitsökonomie und Flut der Informationen erzwingt viel kürzere Redezeiten. Die Nachhaltigkeit der Botschaft wird anders erzeugt. Bildlichkeit ist Trumpf in Erscheinung und Auftritt. Auch das will gelernt sein. Die Bücher damals waren selbst ästhetische Kunstwerke und dennoch Arbeitsbücher, leider nur für sehr wohlhabende Studierende.

Stabi Ost

Die Staatsbibliothek zu Berlin hat 2 Standorte: Unter den Linden im Ostteil und Potsdamerstraße im Westteil der Stadt. Inhaltlich muss ich mal hierhin und mal dahin. Das macht nichts, denn es lässt sich so die Architektur und die Kunst am Bau vergleichen, als Begleiterscheinung. Meine Lieblingswerke sind die Leuchten in der Stabi West und die Uhren in der Stabi Ost. Die Architektur des frühen 20.-ten Jahrhunderts im Osten ist eher furchterregend und nicht wirklich einladend finde ich. Damals waren in Deutschland Bibliotheken noch elitären Kreisen vorbehalten, wie in der Bibliothèque nationale de France in Paris hatte die Stabi Ost einen runden Lesesaal, der wurde aber in dem Wiederaufbau nicht erhalten. Die eckige Variante in der Mitte der historischen Außenwände erscheint ungemütlich und in der Tat braucht die ungemütliche, unrühmliche Geschichte Deutschlands ständig solche Erinnerung daran. Neues Licht auf die historische Schatten werfen, durch die transparente Dachkonstruktion, ist in der historischen Sammlung an den Rändern jedem Nutzenden möglich. Das Treppenhaus ist in der offenen Bauweise der Stabi West mit den Leuten (allerdings aus Plastik) einladender. Aber das sollte jeder selbst auf sich wirken lassen. Heute profitieren wir von der Zugänglichkeit bei kostenloser Nutzung der Säle und Bestände in Berlin und der zentralen Erreichbarkeit beider Bibliotheken.

Du sollst mehr lesen

In unseren hektischen Zeiten, kommt so ein Aufruf immer passend. Statt Reisen kann ja auch online erkundet werden. Alles bildet, heute multimedial versteht sich. Dennoch lässt es sich wunderbar statt im stillen, heute kalten, Kämmerlein in öffentlichen Bibliotheken stöbern oder recherchieren. Die Bibliothèque nationale de France hat dazu eine alte gute Stube renoviert und richtig herausgeputzt. Die Kathedralen der Moderne in Stockholm, Brüssel mal flämisch, mal frankophon setzen auch bereits auf Zugänglichkeit für alle. Das Konzept war bereits in Paris in den aufgestellten Büchern, der Bibliothekstürme der BnF präsent. Begehbare Bücher samt Garten, Ausstellungen und Treffpunkten ziehen viele Besuchenden an. Mit dem historischen Standort Richelieu im Zentrum von Paris nahe Chatelet ist eine neue Dimension entstanden. Ob es gelingen wird, Touristen zu Lesenden und zu Lernenden weiter zu entwickeln, bleibt eine wichtige Frage für das Überleben unserer Kulturen und Demokratien. Neben der zur Schaustellung von Büchern gibt es auch Zugang zu neuen Medien und ein Set für virtuelle Realitäten zu Ausstellungen moderner Künstler seit dem Impressionismus. Die Verknüpfung von Kunst-, Geistes- und Architekturgeschichte mit aktuellem Design (neue Designerstühle) ist gelungen, Probesitzen eingeschlossen. So erschließen sich neue Traumwelten und harte Realitäten in einem Zug.